Personalisierter 3D-Druck

Der Mensch als Modell

29. März 2023, 10:04 Uhr | Stratasys
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Der 3D-Druck sorgt mit neuen Materialien, die Gewebe und Knochen entsprechen, für effektivere und individualisierte Medizingeräte. Dennoch zögern viele Kliniken. Ein Überblick zum Stand der Branche, den Hürden und welche Schritte den medizinischen 3D-Druck voranbringen.

Jeder menschliche Körper besteht aus einzigartigen, geometrisch komplexen Formen: Jedes Herz, jede Niere, jedes Kniegelenk und jede Wirbelsäule sind einzigartig. Und weil das auch für jeden Patienten gilt, ist auch jeder medizinische Eingriff einzigartig. Der 3D-Druck hat sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Fertigungswerkzeug in der industriellen Medizintechnik entwickelt. Doch auch in der klinischen Praxis ergeben sich vielfältige Einsätze für eine personalisierte Medizin: Mit sinkendem Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung hochpräziser individueller anatomischer Modelle, medizinischer Hilfsmittel und Prothesen ist die Zahl der 3D-unterstützten medizinischen Anwendungen rasch gestiegen.

In der Chirurgie wird der 3D-Druck heute weltweit eingesetzt, um die Patientenversorgung während der Untersuchung, der Planung des Eingriffs und der Nachbehandlung zu verbessern. In der Prothetik bedeutet die Möglichkeit, individuelle Anpassungen vornehmen zu können, ein Höchstmaß an Komfort, während die geometrische Freiheit, die der 3D-Druck ermöglicht, neue Designstrukturen für leichtere und stärkere Prothesen ermöglicht. Für medizinische Hilfsmittel bedeutet die Verkürzung der Produk­tionsvorlaufzeit und die Verfügbarkeit biokompatibler Materialien, dass die Patienten schneller personalisierte Lösungen erhalten.

3D-Druck in der Chirurgie

Jede physiologische und pathologische Situation ist einzigartig, was bedeutet, dass ein Chirurg jedes Mal, wenn er sich an die Arbeit macht, die Besonderheiten zum ersten Mal sieht. In vielen Fällen zeigt sich das Ausmaß des Problems erst, nachdem die Operation begonnen hat – und die Zeit läuft.

Röntgenbilder, CT- und MRT-Scans können viel über die Herausforderungen aussagen, mit denen das Operationsteam wahrscheinlich konfrontiert wird. Ein manipulierbares virtuelles 3D-Modell ist zwar nützlich, gibt den Chirurgen aber nicht die Möglichkeit, sich vor dem Eingriff genau vorzubereiten und zu trainieren. Daher wird der 3D-Druck immer mehr zu einem wichtigen Werkzeug des Chirurgen, der damit auf der Grundlage medizinischer Scandaten ein präzises patientenspezifisches anatomisches Modell in 3D erhält, an dem er den Eingriff so oft wie nötig üben kann, um das optimale Operationsverfahren zu finden.

Bislang bestehen diese Modelle in der Regel aus einem Monomaterial (Hartplastik), das sich hervorragend für ästhetische Nachbildungen der Anatomie eignet (Bild 1).

Medizintechnik 3D-Druck Stratasys Kunststofffertigung Implantate Prothesen
Bild 1. 3D-gedrucktes Modell eines menschlichen Herzens.
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Aber menschliches Gewebe und Organe besitzen auch eine Fülle an physikalischen und biomechanischen Eigenschaften, die sich auf die Vorgehensweise auswirken, wie eine Operation bestmöglich durchgeführt werden kann. Um diese zu berücksichtigen, wurde vor Kurzem der erste 3D-Drucker auf den Markt gebracht, der Materialien verwendet, die nicht nur die genaue Anatomie eines Patienten nachbilden, sondern auch die Weichheit, Flexibilität und Dichte komplexer Organe, biologischer Systeme und spezieller Pathologien (Bild 2).

Medizintechnik 3D-Druck Stratasys Kunststofffertigung Implantate Prothesen
Bild 2. Wirbelsäule mit Bindegewebsschicht, gedruckt auf einem Stratasys J750.
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Der 3D-Drucker »Digital Anatomy« von Stratasys verwendet neuartige biomechanische Materialien, deren Eigenschaften denen von Gewebe und Knochen entsprechen, um den Ärzten eine möglichst genaue Darstellung der angestrebten Pathologie zu ermöglichen. Blutgefäße, Muskel-Skelett-Strukturen, strukturelle Herzdefekte sowie allgemeine anatomische Modelle können so präzise und realistisch erstellt werden, dass sie eine realitätsgetreue chirurgische Trainings- und Planungshilfe darstellen (Bild 3).

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Bild 3. Der 3D-Drucker Digital Anatomy von Stratasys verwendet neuartige biomechanische Materialien.
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Im vergangenen Jahr hat das Sokora University Medical Center in Israel diese Technologie in einem bahnbrechenden Eingriff eingesetzt, um ein Jahr alte Zwillinge zu trennen, die am Kopf zusammengewachsen waren. Die Chirurgen hatten nur eine einzige Chance, die Operation erfolgreich durchzuführen. Deshalb haben 3D-gedruckte Modelle der Anatomie der Zwillinge eine entscheidende Rolle gespielt, denn diese Modelle wurden mit Materialien gedruckt, die menschlichem Gewebe gleichen. Das Chirurgenteam konnte die Operation immer wieder an einer realistischen Nachbildung des echten Körpers durchführen, sodass die Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich erhöht wurde. Die Operation verlief schlussendlich erfolgreich.

Hindernisse für die Akzeptanz

Obwohl die Vorteile überzeugen, gibt es in der klinischen Realität noch einige Hindernisse. In den USA setzen heute nur etwa 400 von mehr als 6000 Krankenhäusern den 3D-Druck ein. In Europa, einem sehr heterogenen Gesundheitsmarkt, ist die Zahl der Anwender noch geringer. Doch die gesundheitlichen Chancen sind groß, und dies ist auch der Grund, warum der medizinische 3D-Druck mit großen Investitionen derzeit schnell wächst. Dennoch stellt sich die Frage, warum bisher nur eine kleine Anzahl an Krankenhäusern 3D-Druck in der klinischen Praxis nutzt. Die größten Hindernisse sind eine fachgerechte Ausbildung und die Finanzierung; beides ist miteinander verknüpft.

Investitionen in neue Geräte und noch mehr in neue, innovative Technologien müssen für eine Finanzierung argumentiert und mit Nutzen belegt werden. Jede erfolgreiche Anwendung ist dementsprechend von größter Bedeutung. In einem Bereich, in dem es um Menschenleben geht, gibt es keinen Spielraum für Fehler. Obwohl der 3D-Druck im Gesundheitswesen schon seit Langem eingesetzt wird, gibt es noch immer Wissenslücken bei den Fachleuten. Wer nicht genau weiß, wie man die Technologie am besten einsetzen kann, hat Probleme, den Nutzen für die Finanzierung zu rechtfertigen. 3D-Druck-Anbieter legen deshalb großen Wert auf eine praxisbezogene und tiefgehende Ausbildung. Neben dem reinen Verkauf von 3D-Druckern benötigen die Krankenhäuser und das medizinische Personal Beratungs- und Schulungsprogramme, um die Technologie bestmöglich zu nutzen. Die richtige Ausbildung ist von entscheidender Bedeutung. Nicht nur, um die Finanzierung zu rechtfertigen, sondern auch, um die Chirurgen in der täglichen Anwendung zu schulen.

Partnerschaftliches Lernen

Doch damit ist die Aufgabe noch lange nicht erfüllt. Anbieter von 3D-Druckern arbeiten aus diesem Grund eng mit Krankenhäusern und Gesundheitsdienstleistern zusammen, um die neuen Technologien in der Realität zu verankern. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit ist für ein besseres Lernen, Verstehen und damit den klinischen Einsatz des 3D-Druck unabdingbar, denn das erforderliche Wissen geht weit über den eigentlichen Drucker hinaus. Für den Einsatz als fortschrittliche Medizintechnik sind vielmehr Wissen um Materialien und Software sowie ein umfassendes Fachwissen in Biomechanik, Physiologie und Pathologie erforderlich. (uh)


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