Patient der Zukunft

Der selbstbewusste Mitentscheider

17. Juni 2019, 10:00 Uhr | Melanie Ehrhardt
Kommunikation auf Augenhöhe: Der Patient der Zukunft bringt sich proaktiv in seine Behandlung ein.
© Pixabay

Mit der Digitalisierung steht die Medizin vor einem großen Innovationssprung, der in vielfältiger Weise auch die Krankenhäuser betrifft. Dabei geht es nicht nur um Effizienz und Wirtschaftlichkeit, sondern der Patient sollte stets im Mittelpunkt stehen.

Wie sieht die Medizin der Zukunft aus? Peter Vullinghs, CEO Philips DACH, hat da eine klare Vorstellung: »Mein Wunschszenario wäre, dass Menschen überall auf der Welt einen guten Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung haben, und das unabhängig von ihrem Bildungs-, Einkommens- und Gesundheitsstatus und ihrem Wohnort.« Das hört sich eigentlich machbar an, ist aber schon heute kaum möglich – selbst in Deutschland, dessen Gesundheitssystem eines der besten der Welt ist. Denn trotz seiner Leistungsfähigkeit steht es vor großen Herausforderungen (Kasten). »Die steigenden Gesundheitsausgaben sind in den jetzigen Strukturen langfristig nicht finanzierbar«, so Vullinghs. Der starke Kostendruck und die gleichzeitige Forderung nach mehr Qualität und Patientenorientierung erfordern seiner Meinung nach ein Umdenken.

Neben dem medizinischen Fortschritt prägen die Branche aber noch ganz andere Herausforderungen. Diese sind jedoch nicht immer auf gesellschaftliche Entwicklungen zurückzuführen. »Einerseits fordert die Digitalisierung Unternehmen stark heraus, da sie sich sowohl in technischer Hinsicht mit neuen Themenfeldern auseinandersetzen müssen, aber auch ihre Produkte an die neuen digitalen Versorgungskonzepte und veränderte Geschäftsmodelle anpassen müssen«, sagt Dr. Matthias Schier, Geschäftsführer MedTech Pharma e.V., und ergänzt: »Daneben gibt es aktuell eine zweite gravierende Herausforderung durch die erheblich verschärften Anforderungen an die Zertifizierung durch die neue EU-Medizinprodukteverordnung (MDR)«.

Peter Vullinghs, CEO Philips DACH
»Patientenkommunikation ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Leistungsbringer«.
© Philips

Proaktive Begleitung

»Angesichts der aktuellen Herausforderungen muss es zukünftig um mehr gehen als gute Diagnostik und Therapie. Wir brauchen einen Wechsel von der episodischen, reaktiven Versorgung bereits erkrankter Patienten hin zu einer lückenlosen, proaktiven Begleitung von Menschen in allen Phasen des sogenannten Health Continuums: vom gesunden Lebensstil über Prävention, Diagnostik und Therapie bis hin zur Versorgung zu Hause«, so Vullinghs. Dabei seien Lösungen für eine vernetzte Versorgung von besonderer Bedeutung. »Dazu gehören integrierte Ansätze, elektronische Gesundheitsakten, Patientenportale und Analytik-Werkzeuge zur datenbasierten Versorgungssteuerung.« So sollen aber nicht nur die Hürden für Steigerung der Effizienz und Versorgungsqualität an den Sektorengrenzen und innerhalb der Krankenhäuser überwunden werden, sondern vor allem soll der Patient davon profitieren. »Vergleichende Datenanalyse, selbstlernende Algorithmen und breit angelegte Expertensysteme ermöglichen therapeutische Ansätze, die auf den einzelnen Patienten abgestimmt sind«, sagt Schier. Außerdem finde die Versorgung nicht mehr vorrangig in Kliniken oder Arztpraxen statt, sondern werde in weiten Teilen ortsunabhängig und kontinuierlich erfolgen, da durch Vernetzung, Wearables und virtuelle Expertennetze die physische Anwesenheit des Arztes oder Therapeuten nicht immer nötig ist.

»Der Patient der Zukunft hat sich vom passiven Empfänger zum selbstbewussten Mitentscheider emanzipiert, der ernst genommen und umworben werden will«, so Peter Vullinghs von Philips. Außerdem übernehmen die Menschen mehr Verantwortung für die eigene Gesundheit. »Sie nutzen ganz selbstverständlich mobile Applikationen, um das Entstehen von Erkrankungen durch einen gesunden Lebensstil zu verhindern oder das Voranschreiten chronischer Leiden hinauszuzögern.«

Emanzipierte Technik

Doch nicht nur der Patient wird sich zukünftig mehr und mehr emanzipieren. Auch Big Data und Künstliche Intelligenz sichern ihren Platz in der Prozesskette – weg vom netten Gadget hin zum ernstgenommenen Werkzeug des medizinischen Personals. »Künstliche Intelligenz hilft Ärzten dabei, die Datenflut zu bewältigen, entlastet von Routineaufgaben und unterstützt sie bei der Entscheidungsfindung«, so Vullingsh. Dr. Matthias Schier fügt hinzu: »Die Sammlung und strukturierte Auswertung von Gesundheitsdaten sowie die Nutzung intelligenter Algorithmen eröffnet die Möglichkeit hochwirksamer Unterstützungs-Systeme, beispielsweise zur hochsensitiven Auswertung von Röntgenbildern, zur Unterstützung der Differenzialdiagnose, zur Vorhersage der Therapie-Wirksamkeit oder zur individuellen Unterstützung von Patienten im häuslichen Umfeld.«

Dr. Matthias Schier, Geschäftsführer MedTech Pharma e.V.
»Die Sammlung und strukturierte Auswertung von Gesundheitsdaten sowie die Nutzung intelligenter Algorithmen eröffnet die Möglich-keit hochwirksamer Unter- stützungs-Systeme.«
© MedTech Pharma

Arzt und Patient werden jedoch nicht nur von datengetriebenen Entwicklungen profitieren. Für Philips gehört darüber hinaus die Bildgebung zu den Schwerpunkten, zum Beispiel die spektrale Computertomographie (CT), die im Vergleich zum konventionellen CT eine genauere Darstellung der Strukturen, eine präzise Materialquantifizierung und dadurch eine deutlich bessere Gewebecharakterisierung ermöglichen soll. Bei herkömmlichen Dual-Energy-CTs muss sich der Radiologe vorab für ein Dual-Energy-Protokoll entscheiden. Beim IQon Spectral CT von Philips ist das anders: »Das System akquiriert in einem einzigen Scan konventionelle plus spektrale Bildinformationen«, erklärt Vullingsh. Beide Datensätze stehen nach jeder Untersuchung zur Verfügung, wodurch sich Doppeluntersuchungen mit unnötigen Strahlenexpositionen des Patienten vermeiden lassen.

Schier sieht noch eine wichtige Entwicklung für Anwendungen im Gesundheitsumfeld: die Robotik. »Die vorrangigen Einsatzfelder sind dabei Service-Roboter für den Pflege-Bereich, Roboter für Logistik-Aufgaben in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, Exoskelette für die Rehabilitation sowie robotische Assistenzsysteme in der Chirurgie.« Auch die weitere Miniaturisierung und die Entwicklung immer komplexerer, hochintegrierter Systeme beispielsweise für smarte Implantate in Gehirn, Auge oder Ohr können neue medizinische Möglichkeiten mit sich bringen.

Ziel: der mündige Patient

Eine digitale Patientenakte macht noch lange kein Smart Hospital. Im Krankenhaus der Zukunft geht es nicht nur darum, gewisse Prozesse zu digitalisieren und Kosten einzusparen. Dem Patient kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu. Er ist ein aktives Mitglied der Prozesskette, das sich einbringt und mitentscheidet. »Patientenkommunikation ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für Leistungsbringer«, bringt es Vullingsh auf dem Punkt. Denn Digitalisierung heißt nicht, dass das Zwischenmenschliche auf der Strecke bleibt. Im Idealfall gewinnt es an Bedeutung, wodurch alle Beteiligten profieren.

Herausforderungen für Medizin und Gesundheitsversorgung

Steigende Ausgaben: Die Gesundheitsausgaben in Deutschland haben im Jahr 2017 erstmals die Marke von 1 Milliarde Euro pro Tag überschritten. Für 2017 prognostiziert das Statistische Bundesamt einen Anstieg der Gesundheitsausgaben gegenüber 2016 um 4,9 % auf 374,2 Milliarden Euro. Von 2015 zu 2016 hatten sie sich um 3,8 % auf 356,5 Milliarden Euro oder 4330 Euro je Einwohner erhöht. Dies entsprach einem Anteil von 11,3 % am Bruttoinlandsprodukt.

Demografische Wandel: Neben dem medizintechnischen Fortschritt ist der demographische Wandel der größte Kostentreiber. Nur in Japan und Italien leben prozentual gesehen mehr Menschen über 60 Jahre als in Deutschland. Aber auch die Zunahme lebensstilbedingter Erkrankungen wie Herz-Kreislaufprobleme, Krebs und Diabetes belasten das Gesundheitssystem.

Fachkräftemangel: Wie aus einer im April 2018 veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht, sind derzeit mehr als 25.000 Fachkraftstellen unbesetzt. Schon jetzt müssen Krankenhäuser aufgrund von Personalmangel immer häufiger Stationen schließen oder Patienten ablehnen. Laut einer aktuellen Umfrage der DIVI-Sektion »Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin« unter Kinderintensivstationen sind rund 20 % der Intensivbetten wegen fehlender Pflegekräfte gesperrt.

Unterversorgung: Laut Future Health Index, einer von Philips beauftragten Studie, sagen rund 70 % der Konsumenten und 80 % der Ärzte, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung in Deutschland auf dem Land schlechter sei als in den Städten.

EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR): Die Vorbereitungen auf die neuen regulatorischen Rahmenbedingungen durch die MDR fordern bereits heute volle Aufmerksamkeit und den Aufbau umfangreicher Ressourcen von den Herstellern.

 

Zuerst gesehen

Dieser Beitrag stammt aus der Medizin+elektronik Nr. 3 vom 02.05.2019.

Hier geht’s zur vollständigen Ausgabe.

 


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