Wireless MedTech

Kabellose Medizinprodukte rechtskonform entwickeln

26. April 2023, 9:58 Uhr | Von Thomas Ring, TÜV SÜD Product Service
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Die Medizin der Zukunft funktioniert weitgehend kabellos, von der Stromzufuhr abgesehen. Wireless-Medizinprodukte bieten viele Vorteile, unterliegen aber auch umfangreichen Rechtsvorschriften. Die verwendete Funktechnik wird von den Benannten Stellen überprüft. Was gibt es dabei zu beachten?

Wireless-Medizinprodukte machen die Patientenversorgung sicherer und leistungsstärker. Zum einen bergen sie keine Stolperfallen mehr, die eine Gefahr für Personal und Patienten sein können. Zum anderen erreichen Überwachung und Diagnostik durch die digitale Vernetzung verschiedener Geräte untereinander ein höheres Niveau. Dadurch steigt zugleich die Verlässlichkeit im OP und in anderen medizinischen Bereichen deutlich. Auch lassen sich kabel- und drahtlose Medizinprodukte leichter warten und reinigen, in der Regel überwachen sie die dazu nötigen Intervalle selbst.

Dank dem hohen Nutzerkomfort und der Wirtschaftlichkeit und Effizienz sind kabellose Medizinprodukte aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Allerdings erfordern neue technische Lösungen meist auch neue technische Standards. In diesem Fall ergeben sie sich schon daraus, dass ein drahtloses Medizinprodukt gleichzeitig als Funkgerät gilt. Rechtliche Regelungen, die diese Technologie betreffen, sind dadurch ebenfalls zu beachten. Hintergrund: Ein wesentlicher Bestandteil von Wireless-Produkten ist ihre Funktechnik. RFID-, Bluetooth- und WiFi-Schnittstellen stellen die Verbindung der Geräte untereinander sicher.
 
In den wichtigsten internationalen Märkten gibt es für die Zulassung von Funktechnik unterschiedlichste Vorgaben. Medizinprodukte erhalten den Zugang zu diesen Märkten erst, wenn sie die regulatorischen Voraussetzungen nachweislich erfüllen. Dazu durchlaufen sie ein normiertes Verfahren, an dessen Ende ein Zulassungszertifikat der jeweils verantwortlichen nationalen Behörde steht. Meistens umfasst die Zertifizierung eine entsprechende Kennzeichnungspflicht am Gerät und Hinweise in der Bedienungsanleitung.

Zulassung von Funktechnik in der EU

Mit der EU, den USA, Kanada, Japan, Südkorea oder Taiwan haben Schlüsselmärkte eigene Regelwerke für kabellose Medizinprodukte bzw. kommen spezifische Regeln für Funkgeräte zur Anwendung. In der EU ist das die Funkanlagenrichtlinie 2014/53/EU (RED). Sie ist eine handelsbezogene Richtlinie, berücksichtigt aber auch technische Grundvoraussetzungen.

Mit der RED 2014/53/EU stellt die EU – anders als andere Länder bzw. Wirtschaftsräume – keine expliziten Regeln für separat einzubauende Funkmodule auf. Infolgedessen ist ein Funkmodul daher wie jedes sonstige Funkgerät zu betrachten. Eine sogenannte modulare Zulassung ist somit möglich, jedoch muss das Funkmodul alle Anforderungen der RED 2014/53/EU erfüllen. Nach Einbau eines Funkmoduls muss jedoch jedes Medizinprodukt ebenfalls gemäß Richtlinie 2014/53/EU bewertet werden. Das unterscheidet die EU von anderen Ländern bzw. Wirtschaftsräumen, die explizite Regeln für diese sogenannte modulare Zulassung haben.

Zu beachten sind vor allem die grundlegenden Anforderungen gemäß Artikel 3 der RED, die zum Beispiel den Schutz der Gesundheit und Sicherheit (Artikel 3.1a), ein angemessenes Niveau an elektromagnetischer Verträglichkeit (Artikel 3.1b) sowie die effektive Nutzung von Funkfrequenzen beinhalten (Artikel 3.2). Hinzu kommen Pflichten des Herstellers bzw. der jeweiligen Wirtschaftsakteure, etwa die CE-Kennzeichnung inklusive der weiteren Pflichten gemäß Artikel 10 der RED 2014/53/EU. Erfüllt ein Funkmodul diese Anforderungen, kann es mit einer Konformitätserklärung gemäß RED auf den europäischen Markt gebracht werden.

Die wichtigsten Anforderungen an kabellose Medizinprodukte  
Die folgenden Voraussetzungen gelten international für einen erfolgreichen Zulassungsprozess:  
  • Es sollte eindeutig geklärt sein, welche Stelle die Zulassung eines Produkts erteilen kann.
  • Zugelassene Frequenzen und Prüfstandards der jeweiligen nationalen Behörden bzw. Zertifizierungsstellen sollten möglichst früh bekannt sein.
  • Funkkomponenten und Funkgeräte sollten im Zielmarkt bereits zugelassen sein. Das vereinfacht auch die Zulassung des Medizinprodukts.
  • Der Hersteller sollte sich intensiv mit den administrativen Vorschriften befassen, z. B. hinsichtlich der Kennzeichnung oder Statements in der Bedienungsanleitung.
  • Technische Dokumentationen sollten lückenlos vorliegen, sowohl für das neue Produkt als Ganzes als auch für integrierte Funkmodule.
 

 

Funkmodule prüfen

Anspruchsvoll ist die Vorgabe der Richtlinie, Funkgeräte nach deren Verwendungszweck und Einsatzgebiet überprüfen zu lassen. Für klassische Funkgeräte erscheint das einfach. Für Funkmodule, die in verschiedenen Endgeräten eingesetzt und verwendet werden, lässt sich der Verwendungszweck vom Modulhersteller dagegen schwer eingrenzen.

Dabei ist die Installations- bzw. Einbauanweisung des Modulherstellers relevant, ebenso wie die Herstellererklärung, in der die angegebenen Prüfstandards mit Versionsnummer zu erkennen sind. Mit diesen Angaben kann der Installateur bewerten, welche Spannungs- und Temperaturbereiche, welche Antennen bereits vom Modulhersteller bewertet wurden – und welche Prüfnotwendigkeiten sich daraus noch für den Endgerätehersteller ergeben, der das Funkmodul einbaut.

Abgeschirmt von elektromagnetischen Einflüssen bietet eine EMV-Absorberhalle optimale Prüfbedingungen für Funktechnik
Abgeschirmt von elektromagnetischen Einflüssen bietet eine EMV-Absorberhalle optimale Prüfbedingungen für Funktechnik.
© TÜV SÜD

Zudem gilt: Jeder neue Verwendungszweck schafft rechtlich ein neues Funkgerät. Eine CE-Kennzeichnung auf einem Funkmodul garantiert keinen Anspruch der Einhaltung von gewissen Limits oder Standards für das Endprodukt. Diese CE-Kennzeichnung ist ein Zeichen dafür, dass das Funkmodul an sich die notwendigen Standards, Limits und weitere Anforderungen einhält. Entscheidet sich nun ein Unternehmen dafür, ein Funkmodul in sein Gerät zu installieren, baut dieses ein völlig neues Funkgerät. Das kann bedeuten, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt für das Endgerät eventuell einzig die MDD 93/42/EEC, inklusive Sicherheit und EMV-Aspekte, zur Erstellung der Konformität herangezogen wurde. Mit dem Einbau des Funkmoduls fällt das neue Produkt nun aber auch in den Geltungsbereich der RED 2014/53/EU und die Konformität gemäß dieser Richtlinie muss nachgewiesen und erstellt werden. Dies bedeutet, dass alle anwendbaren Standards und Grundlagen der RED auch für das Endprodukt erfüllt werden müssen.

Der Hersteller muss unter bestimmten Voraussetzungen nicht alle Funkprüfungen vollständig wiederholen. Stattdessen kann er auf Prüfergebnisse des Modulherstellers zurückgreifen. Empfehlenswert ist es jedoch, wenigstens Teilprüfungen vorzunehmen. Ein Beispiel dafür sind Spurious Emissions, die sogenannten Nebenaussendungen nach dem jeweiligen Funkstandard. Es sollten aber auch Empfängerprüfungen aufgrund eines neuen Gehäuses berücksichtigt werden, da natürlich das Hinzufügen einer neuen Antenne die Funkleistung verändern kann. In der Regel weist das Produkt auch andere Funktionen auf, welche nicht mit dem Funkbetrieb verbunden sind; hier wird dann sinnvollerweise nach den entsprechend gültigen EMV- oder Sicherheitsstandards geprüft und bewertet. Eventuell können Ergebnisse von beispielsweise EMV-Produktstandards übernommen werden, weshalb dann nur noch die spezifischen Anforderungen an Funk-EMV abgeprüft werden müssen.

Zusätzlich zu beachten sind die Anforderungen zur Exposition von Personen nach Artikel 3.1 (a) der RED. Hierbei ist es möglich, die Bewertung der sogenannten RF Exposure aus vorangegangenen Prüfungen des Moduls zu übernehmen. Voraussetzung dafür ist, dass bestimmte Vorgaben erfüllt werden, wie etwa ein Mindestabstand von 20 Zentimetern zu einer Person. Diese speziellen Punkte oder Unterschiede sollten jedoch vom Endgerätehersteller genau festgestellt werden, da dieser letztendlich eine Herstellererklärung unterzeichnen wird, in welcher er bestätigt, alle diese Standards und Anforderungen zu erfüllen. Hilfreich ist in jedem Fall der Zugriff auf die Prüfberichte des Funkmoduls. Hierfür haftet der Endproduktehersteller, auch wenn er nicht jede Prüfung eins zu eins wiederholt.

Benannte Stellen unterstützen

Zusätzlich können Benannte Stellen gemäß RED oder akkreditierte Prüflabore dabei unterstützen, die Ergebnisse vorheriger Prüfungen zu interpretieren und optimieren. Der TÜV SÜD als Benannte Stelle hat zum Beispiel Zugriff auf Informationen und Leitfäden der Radio Equipment Directive Compliance Association (REDCA).

Das Beispiel der RED zeigt, wie komplex die Zulassung kabelloser Medizinprodukte aufgrund ihrer Funkkomponenten sein kann. Obwohl in wichtigen Absatzmärkten unterschiedliche Vorschriften gelten, lassen sich Abläufe und Anforderungen der Zulassung miteinander vergleichen (siehe Infokasten). Dort, wo eine modulare Zulassung möglich ist, beschleunigt dies die Genehmigung. Und auch dort, wo es nicht möglich ist, kann die Arbeit mit bereits zugelassenen Funkmodulen die Inverkehrbringung beschleunigen.

Doch auch die Nutzung eines bereits zugelassen Funkmoduls ist komplex: Produktentwickler und Qualitätsmanager müssen die Anforderungen des jeweiligen Marktes kennen und zugleich die Funktionen im Detail verstehen. Die Benannten Stellen verfügen über vertiefte Kenntnisse sowohl zum rechtlichen als auch zum technischen Status von kabellosen Medizinprodukten. Expertinnen und Experten des Prüfdienstleisters untersuchen diese Produkte in vielen Ländern und Regionen der Welt. Mit ihren Erfahrungen und Kenntnissen der verschiedenen nationalen und internationalen Normen schaffen sie Rechtssicherheit für kabellose Medizinprodukte, indem sie deren Eignung für die jeweiligen Zielmärkte überprüfen. Damit bieten sie Unternehmen eine wichtige Unterstützung, die mit Wireless-Produkten zum medizinischen Fortschritt beitragen.


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