Power für Medizingeräte

Stromspitzen im Marathon-Sprint

1. August 2022, 8:36 Uhr | Patrick Le Fèvre, Redaktion: Ute Häußler
Bild 5. Netzteile für medizinische Anwendung liefern bis zu 300 Prozent Spitzenlast.
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Medizinische Geräte wie hydraulische Betten, Infusionspumpen oder Beatmungsgeräte müssen zu ihrer konstanten Stromversorgung auf kurze, aber hohe Lastspitzen ausgelegt sein. Ein Überblick zu Lastarten, Überstromschutz und dezidierten Power-Designs für die Netzteilentwicklung.

Kein elektronisches Gerät funktioniert ohne Strom. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten der Stromversorgung wie es Anwendungen gibt. Von Körpersensoren, die mit »geernteter« Energie betrieben werden, bis hin zu Hochleistungssystemen für medizinische Bildgebungssysteme wie MRT. Medizi­nische Stromversorgungen haben alle die gemeinsame Anforderung, sicher, zuverlässig und energieeffizient zu sein.
Die große Mehrheit der medizinischen Geräte benötigt konventionelle Stromversorgungen, die während ihrer Lebensdauer Tag für Tag eine konstante Leistung liefern. Einige Anwendungen dagegen brauchen eine Stromversorgung, die entweder gelegentlich oder wiederholt Spitzenleistung liefert. Bei solchen Anwendungen müssen die Hersteller medizinischer Geräte eine Reihe von Parametern berücksichtigen. Sie müssen sicherstellen, dass die gewählte Stromversorgung nicht nur einen Marathon laufen kann, sondern auf Abruf auch in der Lage ist, ein Sprintrennen zu absolvieren – natürlich ohne Kompromisse bei Sicherheit, Leistung und Zuverlässigkeit.

Medizintechnik Power Stromversorgung Netzteile Cosel
Bild 1. Spitzenlaststrom am Beispiel einer Infusionspumpe.
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Medizinische Anforderungen

Für Hersteller medizinischer Geräte ist es selbstverständlich, dass eine Stromversorgung den Sicherheitsnormen EN/IEC 60601-1 entsprechen muss. Die Wahl der Ausgangsleistung hängt stark vom Lastverhalten des Endgeräts ab: In Überwachungs- und Kontrollsystemen ist der Stromverbrauch relativ stabil und leicht vorhersehbar. Bei medizinischen Geräten wie Patientenbetten, Infusionspumpen, unterstützter Patientenbeatmung einschließlich Gleichstrommotoren und elektromechanischen Schaltern, die sich als induktive oder kapazitive Lasten verhalten, muss das Netzteil dagegen unter Umständen für einen Zeitraum von einigen Millisekunden bis Sekunden eine zusätzliche Leistung liefern (Bild 1). Obwohl die Dauer der Leistungsspitzen im Verhältnis zur normalen Betriebszeit kurz ist, müssen sie dennoch in das Power-Design einbezogen werden, um teure oder gefährliche Ausfälle zu vermeiden.

Lasttypen in Kurzform

Der Systemdesigner muss zudem die Art der Last berücksichtigen. In komplexen Designs muss die Hauptstromversorgung eine Vielzahl von Systemen und Untersystemen mit unterschiedlichen Lastprofilen versorgen. Es gibt vier grundlegende Arten von Lasten: induktive, kapazitive, Konstantstrom- und nichtlineare Widerstandslasten. Sie alle zeigen ein spezifisches Verhalten, welches für die Auswahl eines Netzteils ausschlaggebend ist.

Induktive Last

Elektromotoren und elektromagnetische Schalter (z. B. Relais, Magnetschalter) mit induktiver Eigenschaft werden als induktive Lasten bezeichnet. Beim Anlegen einer Spannung an einen Gleichstrommotor fließt durch die Last ein Strom, der ein Vielfaches des Nennwerts beträgt; beim Abschalten der Spannung wird aufgrund der induktiven Komponente der Last eine Spannung der elektromotorischen Gegenkraft E= -L × (di/dt) erzeugt. Beim Anlegen einer Spannung an eine induktive Last kann das Netzteil die für den Spitzenbedarf erforderliche Energie im Allgemeinen nur bis zur Grenze seiner Überstromschutzfunktion (OCP, Over Current Protection) aufrechterhalten (Bild 2). Ein Überschreiten dieser Grenze, und sei es auch nur für eine sehr kurze Zeit, kann dazu führen, dass die Stromversorgung unterbrochen wird. Die Spitzenlast muss genau definiert werden, um ein geeignetes Netzgerät mit einem Überstromschutz zu wählen, der die Spitzenleistung für eine bestimmte Zeit und in einer bestimmten Abfolge zulässt. Außerdem kann beim Abschalten der Last aufgrund der erzeugten elektromotorischen Gegenspannung, die in den meisten Fällen von den Elektrolytkondensatoren des Netzteils absorbiert wird, der Überspannungsschutz des Netzteils ausgelöst werden, was das Netzteil abschaltet. In diesem Fall sollte eine Entkopplungsdiode eingebaut werden.

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Bild 2. Typische Kennlinien für den Überstromschutz (OCP).
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Kapazitive Last

Eine Last mit einem überwiegend kapazitiven Verhalten wird als kapazitive Last bezeichnet. Dies sind z. B. Kondensatoren, die zur Verringerung der Brummspannung des Netzteils eingesetzt werden, oder Kondensatoren, die zur Bewältigung von Lastspitzen Verwendung finden.

Bei dieser Art von Last fließt im Moment des Anlegens einer Spannung kurzzeitig ein sehr großer Ladestrom Ipeak = (U/R), wobei R der (parasitäre) Serienwiderstand ist, da keine Ladung im Kondensator vorhanden ist. Zwar überwacht und regelt das Netzteil die Ausgangsspannung, doch wenn ein großer Kondensator (über mehrere zehntausend Mikrofarad) in den Ausgang eingefügt wird, kann dies möglicherweise zu einem Fehlverhalten der Regelung und Instabilität der Ausgangspannung führen. Für Systementwickler in der Medizintechnik ist es wichtig, die Gesamtkapazität der in ihren Geräten installierten Kondensatoren zu berücksichtigen und die Fähigkeit der Stromversorgung zu überprüfen, die erforderliche Spitzenenergie zu liefern, die zum effizienten Aufladen der Last erforderlich ist. In einigen Anwendungen können das mehrere Farad sein.

Konstantstromlast

Eine Last, bei der der Strom konstant bleibt, obwohl die Lastspannung schwankt, wird als Konstantstromlast bezeichnet. Ein Beispiel hierfür ist die LED-Beleuchtung in Operationssälen. Wichtig ist, die Art des eingebauten Überstromschutzes zu berücksichtigen. Handelt es sich bei der Überstromschutzkennlinie des Netzteils um einen Stromrücklaufschutz, kann die Ausgangsspannung möglicherweise nicht ansteigen (Bild 2). Dies liegt daran, dass sich beim Anstieg der Ausgangsspannung ein Arbeitspunkt auf dem abfallenden Bereich der Überstromschutzkennlinie einstellt, der von der Regelung als zulässig und stabil angesehen wird, obwohl die Ausgangsspannung nicht ihren Nennwert erreicht hat.  Das Problem kann gelöst werden, indem die Überstromschutzkennlinie durch eine Maximalstrombegrenzung ersetzt wird.

Nicht linearer Widerstand

Einige Geräte verwenden Heizelemente oder Lampen mit Glühfäden, bei denen sich der Widerstand ändert, wenn Strom hindurchfließt. Auch wenn diese Aufwärmphase mit einer monotonen Widerstandsänderung nur kurz andauert, kann dies für die Stromversorgung wie ein Konstantstrom aussehen, der den Schwellenwert für den eingebauten Überstromschutz überschreitet.  

Der Überstromschutz ist ein sehr wichtiger Bestandteil eines Netzteils. Er gewährleistet, dass die Stromversorgung im Falle einer Überstromsituation, die zufällig oder als Folge eines Geräteausfalls auftreten kann, das Gerät schützt. Der Fehler wird an den Bediener, z. B. über eine LED oder ein per Kommunikations-Bus übertragenes Signal, anzeigt.

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Bild 3. Wenn sich Kondensatoren aufladen, steigt der Strom sehr schnell von Null auf den Spitzenstrom an und sinkt dann allmählich auf den Beharrungsstrom ab.
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Der Überstromschutz

Wenn die Ausgangsleistung einen definierten Grenzwert überschreitet, können verschiedene Schäden innerhalb der Stromversorgung oder in den zu versorgenden Geräten auftreten. Die Schutzschaltung (OCP) verhindert nicht nur, dass der Strom den Nennwert überschreitet, sondern begrenzt auch einen möglichen Kurzschlussstrom. Je nach Anwendung und spezifischen Systemanforderungen kann die Aktivierung der OCP verschiedene Auswirkungen haben: Der Ausgang kann mit einer manuellen Rückstellung dauerhaft abgeschaltet werden, mit einer automatischen Rückstellung vorübergehend abgeschaltet werden oder sich als fester, aber sicherer Konstantstrom verhalten (Bild 2). Wird das medizinische Gerät eingeschaltet, fließt ein hoher Anfangsstrom in die Last, der bei Null beginnt und bis zum Erreichen des Spitzenwertes ansteigt. Während dieser Sequenz, wenn sich die Entkopplungs- und Glättungskondensatoren aufladen und die Geräte aus dem kalten Zustand kommen, steigt der Strom sehr schnell von Null auf den Spitzenstrom an und sinkt dann allmählich auf Dauerstromniveau (Bild 3). Während dieses Zeitraums muss das Netzteil genügend Energie liefern, um die Kondensatoren aufzuladen und die Last mit der erforderlichen Leistung zu versorgen, ohne dass der Überstromschutz (OCP) aktiviert wird und der Ausgang abgeschaltet wird. Außerdem können sich manche Lasten anfangs wie ein Kurzschluss verhalten; das Netzteil darf aber nicht in den Schutzmodus übergehen. Um dieser Startsequenz Rechnung zu tragen, sind Netzteile so ausgelegt, dass sie einen gewissen Überstrom zulassen, und es ist üblich, den OCP-Schwellenwert auf etwa 110 Prozent des maximalen Nennwerts festzulegen.

110 Prozent sind für die meisten Anwendungen ausreichend, doch bei anspruchsvollen medizinischen Geräten, die sekundenlange Spitzenleistungen im Bereich von 200 bis 300 Prozent erfordern, reichen das nicht aus. Für diese Marathon-Sprints sind Netzteile erforderlich, die nicht nur eine hohe Spitzenleistung liefern, sondern auch höchste Zuverlässigkeit während der gesamten Lebensdauer des Endgeräts gewährleisten.

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Bild 4. Einfluß von Spitzenlasten auf die Auslegung der Ausgangskondensatoren.
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Maximale Lastspitzen ein-designen

Der naheliegendste Weg, sicherzustellen, dass die Stromversorgung genügend Energie für kurzfristige Spitzenleistungen liefert, ist es, ein Netzteil zu wählen, das für die maximale Leistung ausgelegt ist, die während der Lastspitzen benötigt wird. Wenn beispielsweise die geforderte Dauerleistung eines Geräts 500 Watt und die Spitzenleistung 1000 Watt beträgt, könnte der Systementwickler unter Berücksich­tigung der Betriebsbedingungen wie Eingangsspannung, Umgebungstemperatur, notwendige Leistungsreduzierung etc. ein 1200-W-Netzteil als geeignetste Lösung in Betracht ziehen.
Dies scheint zwar offensichtlich, aber gleichzeitig übertrieben zu sein, wenn die Spitzenwerte nur gelegentlich auftreten. Ein gutes Beispiel ist ein elektrisches Patientenbett. Der Gleichstrommotor für die Positionierung eines Patientenbettes wird zunächst aktiviert, braucht für eine begrenzte Zeit relativ viel Power und wird dann wieder abgeschaltet – das Netzteil versorgt dann nur noch das Steuersystem mit Strom. Ähnlich übertrieben wäre diese Vorgehensweise bei Systemen, die für eine begrenzte Zeit wiederkehrende Spitzenlasten benötigen, im Vergleich zu Systemen mit konstanter Leistung.

Bei der Auswahl eines Netzteils für Spitzenlastanwendungen muss man die Betriebsbedingungen während der Lebensdauer des Geräts bewerten und alle Aspekte, einschließlich Größe, Gewicht und Preis, in Betracht ziehen. Ein 1200-W-Netzteil zu kaufen, wenn die Spitzenlast nur einen begrenzten Teil des Betriebs ausmacht, ist möglicherweise nicht die beste Option.

Raum für Kondensatoren

Es gibt mittlerweile Netzteile, die in der Lage sind, über einen längeren Zeitraum eine erhebliche zusätzliche Leistung zu liefern. Die Größenordnung liegt bei der doppelten maximalen Nennleistung, teilweise noch deutlich darüber. Dafür muss die Stromversorgungseinheit so ausgelegt sein, dass sie genügend Kondensatoren aufnehmen kann (Bild 4), aber auch, dass die Stromversorgungseinheit wiederholte Leistungsspitzen ohne Überhitzung oder Beeinträchtigung der Zuverlässigkeit aushält.

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Bild 5. Netzteile für medizinische Anwendung liefern bis zu 300 Prozent Spitzenlast.
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Als Referenz hierfür kann das Verhalten der Ausgangsspannung der AEA600F-Serie des Herstellers Cosel (Bild 5) dienen, wenn eine Spitzenlast an den Ausgang angelegt wird. Bei dem Produkt handelt es sich um ein 600-W-Netzteil, das 24 V bei einem Dauernennstrom von 25 A liefert. Wie in Bild 6 dargestellt, wurden die Stromversorgungseinheit und die Ausgangskondensatoren so ausgewählt, dass sie eine Spitzenleistung, die doppelt so hoch ist wie die Nennleistung, für eine Dauer von 1000 Millisekunden aufrechterhalten können. In Bild 6 sind zwei Zustände dargestellt: Last­änderung von Leerlauf auf 52,5 A Spitze und von 12,5 A Halblast auf 52,5 A Spitze. In beiden Fällen bleibt die Spannung innerhalb der vorgegebenen Grenzen, und der Überstromschutz schaltet nicht ab.

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Bild 6. Lastsprungverhalten des Netzteils Cosel AEA600F.
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Sprint-Marathons in der Medizintechnik

Einen Marathon mit der Leistung eines Sprintrennens zu laufen, ist bei medizinischen Stromversorgungen Realität. Die hohe Diversität der Anwendungen erfordert sehr unterschiedliche Stromversorgungsdesign, doch neueste Komponenten erleichtern die Systementwicklung deutlich. Für noch kleinere, modulare und leistungsfähigere Netzteile werden in der nächsten Generation Wide-Bandgap-Halbleiter, Superkondensatoren und digitale Steuerungen sorgen und das Leben der Entwickler im Stromversorgungsdesign weiter spannend machen. (uh) ■


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