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Upgrade für die Asthmatherapie

22. November 2021, 14:00 Uhr | Dr. Andreas Alt (Sensirion)
Im 3D-Druck hergestellter Inhalator-Clip-On mit dem Durchflusssensor SDP3x
© Sensirion

So überwachen smarte Inhalatoren die Medikamentenabgabe

Bei Atemwegserkrankungen wie Asthma oder COPD (chronischer obstruktiver Lungenerkrankung) gehört die Medikamentenverabreichung mittels Inhalatoren zu den am häufigsten gewählten Therapieformen. Bei jeder Inhalation gibt der Inhalator dabei eine kontrollierte Menge des Arzneimittels frei. Dieses erreicht bei korrekter Verwendung des Inhalators die gesamte Lunge des Patienten. In der Praxis und durch zahlreiche Studien belegt zeigt sich, dass der fehlerhafte Gebrauch eher die Regel als die Ausnahme ist.

Die beiden größten und gravierendsten Fehler im Umgang mit Inhalatoren hängen damit zusammen, wie genau durch den Inhalator eingeatmet und zu welchem Zeitpunkt der Wirkstoff freigesetzt wird. Mit einer zeitaufgelösten Messung des Inhalationsflussprofils lässt sich feststellen, ob der Inhalator zum optimalen Zeitpunkt ausgelöst wurde oder nicht (Bild 1). Denn nur, wenn dies der Fall ist, kann der Wirkstoff auch tief in die Bronchien getragen werden und dort wirksam werden. Bei verzögerter Auslösung oder zu schwacher Inhalation bleibt dieser besonders wichtige Teil der Lunge unbehandelt (Bild 2).

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Bild 1. Luftflussprofil einer Inhalation. Die vertikale Achse zeigt die kalibrierte Flussrate in Standardlitern pro Minute (l/min) und die horizontale Achse zeigt die Inhalationszeit in Sekunden (s).
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Bild 2
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Echtzeitmessungen des Inhalationsprofils

Neben der zeitlichen Abstimmung zwischen Flussprofil und Wirkstofffreisetzung ist auch das Flussprofil selbst sehr aufschlussreich. Hieraus lassen sich Parameter ableiten, die Einblick in den Gebrauch des Inhalators und den Gesundheitszustand des Patienten geben können. Folgende aus der Spirometrie entlehnten Werte sind von besonderem Interesse:

  • Tiefe und Dauer der Inhalation
  • Vollständige Ausatmung bzw. Entleerung der Lunge vor der Inhalation
  • Langsame und kontinuierliche Inhalation entsprechend den Anweisungen
  • Lungenfunktion und ihre zeitliche Entwicklung

Mit präzisen und kalibrierten Echtzeitmessungen des Inhalationsprofils lässt sich bestimmen, ob ein Patient die Inhalation korrekt durchgeführt und eine entsprechend hohe Wirkstoffdeposition die gesamte Lunge erreicht hat. Weitere interessante Parameter, die sich aus gemessenen Inhalationsprofilen ableiten lassen, sind das inspiratorische Volumen (Inspired Volume, IV) und der inspiratorische Maximalfluss (Peak Inspiratory Flow, PIF). Diese Grössen sind aus der Spirometrie entlehnt. Bild 3 zeigt beispielhaft ein gemessenes Inhalationsprofil und die daraus abgeleiteten Parameter.

Auch Untergruppen von Parametern, wie das Inspirationsvolumen in der ersten Inhalationssekunde (IV1) oder der Atemwegswiderstand (Airway Resistance, RAW), lassen sich anhand des Atemflussprofils der Inhalation ermitteln. Die Bestimmung von letzterem ist in Bild 4 dargestellt.

Parameter wie RAW können bei Patienten mit COPD von besonderem Interesse sein, da sie in direktem Zusammenhang mit dem Erkrankungszustand stehen. Demzufolge hat es einen zusätzlichen Wert, den Inhalator mit dieser Spirometriefunktionalität auszustatten. Die Inhalationsflussmessung im Inhalator bietet ebendiesen Mehrwert ohne eine zusätzliche Belastung des Patienten. Sie begleiten also nicht nur den korrekten Gebrauch des Inhalators, sondern kann auch Informationen zur Wirksamkeit der Medikation und zum fortschreitenden Krankheitsverlauf liefern – für Arzt und Patienten. 

Lungenfunktion selbst überwachen

Cohero Health stellt Anwendern genau aus diesem Grund ein zusätzliches Spirometer zur Verfügung. Die Patienten sollen ihre Lungenfunktion während des Behandlungsverlaufs regelmäßig vermessen. Anhand der gesammelten Daten können die Patienten und ihre Ärzte dann den Behandlungsfortschritt einschätzen. Darüber hinaus ermöglicht eine solche Langzeitüberwachung das Modell der ergebnisorientierten Vergütungen, woran insbesondere die Krankenkassen oft interessiert sind.

Diese Entwicklung lässt sich bereits in der Insulin- und Schlafapnoetherapie beobachten: Hersteller, die hier auf vernetzte Geräte gesetzt haben, konnten ihren Marktanteil in den vergangenen Jahren ausbauen und gleichzeitig Behandlungskosten senken. Zudem hat die Vereinigung aus Medikamentenabgabe und Diagnoseeinheit in einem einzigen System dazu beigetragen, Therapieergebnisse zu verbessern.

Bild 6 zeigt schematisch den möglichen Verlauf von PIF, IV und RAW während der Behandlung. Zu Beginn ist der positive Effekt der Medikation deutlich zu erkennen. Regelmäßiger und korrekter Gebrauch des Inhalators führt zu einer stabilen Behandlungsphase. Unterbrechungen im Gebrauch des Inhalators verschlechtern PIF, IV und RAW.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass intelligente Inhalatoren, die während der Verwendung zusätzlich den Inhalationsfluss messen und auswerten, gleich auf drei Ebenen einen Mehrwert bieten: (1) sie begleiten den Einsatz und weisen auf Fehler hin; (2) sie messen die Lungenfunktion und quantifizieren die Wirksamkeit der Medikation; (3) sie steigern die Adhärenz durch wertvolle Rückmeldungen an den Patienten. Zukünftig könnten Flussmessungen darüber hinaus zur Wirkstofffreisetzung genutzt werden – voll automatisiert und optimal an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst – ganz im Sinne personalisierter Medizin.

Flussprofil während der Inhalation messen

Inhalatoren durchlaufen wie alle zugelassenen Medizinprodukte behördliche Freigabeverfahren. Diese sind zeit- und kostenintensiv. In einem ersten Schritt wäre es demzufolge einfacher, bereits zertifizierte Inhalatoren mit entsprechender Elektronik und Konnektivität auszustatten, als Produkte von Grund auf neu zu entwickeln. 

Unternehmen wie Propeller Health oder Adherium haben diesen Weg eingeschlagen. Sie haben eine Reihe von Modulen entwickelt, die auf bereits vorhandene Inhalator aufgesteckt werden können. Diese sogenannten Clip-Ons werten neben Datum und Uhrzeit der Inhalatoranwendung auch Signale von integrierten Beschleunigungs- oder Kraftsensoren aus. 

Die präzise Messung des Durchflusses durch den Inhalator stellte in der Vergangenheit jedoch ein ungelöstes Problem dar. Es gab schlichtweg keine Sensoren, die robust, sensitiv und klein genug für eine solche Anwendung waren. Um die behördliche Zulassung des Inhalators nicht zu verlieren ist es zudem zwingend nötig, dass der Flusssensor außerhalb des Inhalators in einem Clip-On angebracht wird, um den Einatemwiderstand und damit letztlich den Strömungspfad durch den Inhalator unverändert zu lassen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die in klinischen Studien nachgewiesene Funktionalität des zugelassenen Inhalators nicht kompromittiert wird.

Asthmatherapie mit Schweizer Präzision

Um zu demonstrieren, wie sich präzise Inhalationsflussmessungen trotz all dieser Herausforderungen realisieren lassen, hat Sensirion einen funktionsfähigen Clip-On mit integriertem Flusssensor entwickelt. Die Bilder 7 und 8 zeigen den 3D-Druck des Clip-On-Gehäuses. Die auf engem Raum verbaute Elektronik umfasst den SDP3x Durchflusssensor des Schweizer Sensorspezialisten, ein Bluetooth Modul sowie eine Batterie.

Der Clip-On wurde vollumfänglich an das Gehäuse des Inhalators angepasst wurde und die Durchflussmessung rein auf dem Venturi- beziehungsweise Bernoulli-Prinzip an der Einströmungsöffnung beruht. Somit musste der Inhalator selbst in keiner Weise verändert oder angepasst werden. Der auf die Geometrie des Inhalators hin kalibrierte Luftstrom zeigt eine ausgezeichnete Übereinstimmung mit Referenzmessungen. Alle in diesem Artikel gezeigten Flussprofile wurde auf diese Art gemessen.

Lesetipp: Mehr zu diesem Anwendungsfall erfahren Sie auch in unserem Nachbericht zur Compamed 2021. 


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