Interview mit Dr. Bassil Akra (Tüv Süd)

»Wir brauchen keinen Formalismus, sondern endlich Klarheit«

26. August 2019, 14:30 Uhr | Melanie Ehrhardt
Dr. Bassil Akra: »2020 bedeutet vor allem Chaos«
© Tüv Süd

Knapp acht Monate vor Geltungsbeginn löst die MDR noch immer großen Unmut in der Branche aus. Ungenaue Definitionen, zu wenig Zeit und viel zu wenig Beannte Stellen sind dabei die größten Kritikpunkte. Zurecht? Darüber haben wir auch mit Dr. Bassil Akra vom Tüv Süd gesprochen.

Mehr Sicherheit für die Patienten. Das ist das erklärte Ziel der im Jahr 2017 eingeführten neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR), die ab Mai 2020 für alle Medizinprodukte innerhalb der EU gelten soll. Doch die Stimmen häufen sich, dass das kaum zu schaffen ist und am Ende gar mit Engpässen zu rechnen ist. Die EU – so scheint es – reguliert am Bedarf der Branche völlig vorbei. Aber wie kann das sein?

Zur Person: Dr Bassil Akra ist Leiter der strategischen Geschäftsentwicklung der Medizinproduktesparte beim Tüv Süd Product Service.  Er verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung in dem Design,  der Entwicklung und dem Testen von Medizinprodukten. Zusätzlich zu seiner Rolle beim Tüv Süd repräsentiert Dr. Akra die unterschiedlichen Benannten Stellen in Europa in den verschiedensten nationalen, europäischen und internationalen Gremien und verfasst Positionspapiere und Leitfäden mit.

 

Medizin+elektronik: Herr Akra, eigentlich ist die MDR doch eine gute Sache. Warum gibt es so harsche Kritik vonseiten der Medizintechnikunternehmen?

Dr. Bassil Akra: In ihrer ursprünglichen Form sollte die MDR vor allem bessere, leistungsfähigere und sichere Medizinprodukte auf den europäischen Markt bringen. Die Absicht war sicher nicht, Kleinerunternehmen und Innovationen zu behindern, sondern zu unterstützen.  Was unterschätzt wurde, ist wie groß deren Einfluss auf das gesamte System ist. Die MDR geht weit über die reine Produktsicherheit hinaus und unterscheidet nicht zwischen etablierten und Neuprodukten.

Was heißt das konkret?

Selbst einfache Produkte, die schon seit Jahren auf dem Markt sind, müssen belegen, dass sie die neuen Anforderungen erfüllen. Und das sorgt natürlich für Unmut, denn viele Unternehmen fragen sich: Warum muss ich nochmal Nachweise bringen für etwas, das sich über Jahre hinweg etabliert und bewahrt hat?

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Nehmen wir Implantate: Ein Implantat ist laut MDR jedes medizinische Produkt, das länger als 30 Tage im Körper verbleibt. Das heißt, nach der neuen Gesetzgebung ist auch eine Zahnspange ein Implantat. Hier gilt zwar die Ausnahme, dass die Hersteller keine klinischen Studien brauchen, wenn sie genügend klinische Daten haben.  Der Haken dabei ist, dass viele Unternehmen zwar Markerfahrung haben, aber eben keine klinischen Daten. Das interessiert den Gesetzgeber jedoch nicht, der verlangt »ausreichende« klinische Daten. Was er dazu aber nicht sagt, ist wie viele Studien beziehungsweise wie viele Patienten ausreichend sind. In der Verordnung fehlt an vielen Stellen die Klarheit. 

Das heißt?

Die Verordnung ist von Anwälten geschrieben, wodurch sie für die Hersteller und auch für uns als Benannte Stelle missverständlich ist. Der beste Beleg dafür ist das Korrigendum, das erstmal korrigiert hat, was in der Verordnung zwar gemeint ist, aber so nicht drin stand. Zum Beispiel bei Stichprobenprüfungen sollten wir nur auf die klinischen Aspekte achten. Für uns macht das gar keinen Sinn! Wir als Benannte Stelle betrachten auch bei Stichprobenprüfungen das gesamte Produkt, nicht nur die Klinik. Im Korrigendum heißt es nun: Das haben wir so nicht gemeint, Stichprobenprüfung heißt natürlich, dass die gesamt Produktakte geprüft werden muss.

Hintergrund: Das Interview entstand Ende Juli. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur zwei Benannte Stellen: Tüv Süd (Deutschland) und BSI (Großbritannien). Mittlerweile sind zwei weitere dazu gekommen – IMQ (Italien) und Dekra (Deutschland – sodass es derzeit vier Benannte Stellen gibt, die gemäß MDR zertifizieren dürfen.

 

Interview mit Dr. Bassil Akra (Tüv Süd) »Wir brauchen keinen Formalismus, sondern endlich Klarheit«
  1. »Wir brauchen keinen Formalismus, sondern endlich Klarheit«
  2. »Die Anzahl der Benannten Stellen ist nicht das wichtigste«
  3. »Eine Fristverlängerung löst nicht alle Probleme«

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