Robotik für die Medizintechnik

Zupackend und feinfühlig zugleich

13. Juni 2022, 7:30 Uhr | Andreas Seegen, Faulhaber
Feinfühlig filigrane Teile wie zerbrechliche Reagenz- und Proberöhrchen umzusetzen ist für moderne Kleinteilegreifer kein Problem.
© Zimmer

Neue »Pick&Place«-Greifer mit EC-Kleinstantrieben für auto­matisiertes Handling und Sortieren eignen sich sowohl für schwere Pakete wie auch für empfindliche Reagenzgläser im Labor.

Mechanische »Pick-and-Place«-Greifer müssen verschiedene Formen und Gewichte sicher handhaben. Im Gegensatz zur menschlichen Hand, die feinfühlig, präzise, zuverlässig und langlebig zugleich ist, mussten Entwickler sich bisher meist für einen Aspekt entscheiden. Das ändert sich mit neuartigen EC-Kleinstantrieben.

Während die Hand vom zentnerschweren Sack bis zum milligrammleichten Uhrenzahnrädchen eine riesige Bandbreite an Lasten abdeckt, war das bei automatisierten Greiflösungen bisher ein Wunschtraum. Zupacken, Anheben, Zuordnen und Absetzen sind zwar für den Menschen monotone Arbeiten, lassen sich aber prinzipiell gut automatisieren. Die wichtigste Komponente dabei sind die Greifer, also die »Schnittstelle« vom Gegenstand, der erfasst werden soll, zum vordefinierten Wunsch, das Teil an eine bestimmte Stelle zu befördern. Gerade in der Laborautomation sind momentan durch die millionenfach geforderten Coronatests automatisierte »Pick-and-Place«-Lösungen bei Probenanalysen unverzichtbar. Die erforderliche Testkapazität kann nur durch eine kleine Bauweise, zuverlässige Funktion und möglichst wartungsfreien Dauerbetrieb erzielt werden. Ein Referenzbeispiel dafür ist der kleine, bürstenlose Elektromotor BX4 von Faulhaber.

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Bild 1. Die neue Greiferserie GEP2000 kann sehr feinfühlig filigrane Teile positionieren.
© Zimmer

Mehrwert ohne Druckluft

Für automatische Laboranalysen bietet ein voll elektrischer Antrieb einen deutlichen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Systemen z. B. mit Druckluftgreifern. Statt einer zusätzlichen Druckluftversorgung mit Schläuchen, Fittings, Filtern etc. für den Greifer kann ein Elektroantrieb über die vorhandene Stromzufuhr mit Kabel und Steckern versorgt werden. Da die hochentwickelten Laborgeräte mit integrierten Rechnern für die Analyse und Steuerung ausgestattet sind, kann der Motorcontroller direkt in die Analyseumgebung eingebunden werden. Im Gegensatz zu Pneumatikzylindern können Elektromotoren selbst Daten rückmelden, entweder über eingebaute Sensoren wie Encoder beziehungsweise Hallgeber oder über den gerade anliegenden Arbeitsstrom, der ein Maß für die Kraftentwicklung an der Welle liefert. Die Elektroantriebe und ihre Sensoren sind zudem kompakt und erfüllen die hygienischen Ansprüche in der Laborumgebung.

Die badische Zimmer Group ist als Hersteller von Greifern Kunde der Antriebstechnik von Faulhaber. Produktmanager Maik Decker erklärt: »Bis heute wird ein Großteil der Greifer in der Industrie pneumatisch, also mit Druckluft betrieben. Diese Technik ist allerdings für hygienische Umgebungen, wie sie in Laboren, in der Medizin oder in der pharma- und medizintechnischen Industrie gefordert sind, nicht geeignet. Deswegen werden dort Greifer mit Elektroantrieb verwendet«. Zusätzlich gäbe es neben den Hygieneanforderungen in der Medizintechnik-Industrie auch die Forderung nach einer großen Bandbreite, sowohl was das handhabbare Gewicht angeht als auch die unterschiedlichen Formen und Materialien.

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Bild 2. Der dynamische bürstenlose Motor BX4 passt die Greifkraft an die zu greifenden Teile an.
© Faulhaber

Manipulation mit Greifern

Manipulieren stammt aus dem lateinischen manus (hand) und plere (füllen) also etwas in der Hand haben oder etwas handhaben. Für automatische Manipulatoren ist die
Fähigkeit der menschlichen Hand auch heute noch unerreicht. Die modernen Greifer von Zimmer kommen dem Ziel jedoch sehr nahe. Durch die Zusammenarbeit mit dem Kleinantriebsspezialisten Faulhaber kann die neue Greiferserie GEP2000 (Bild 1)
je nach Ausführung nicht nur bis zu fünf Kilogramm schwere Komponenten greifen, sondern durch den sehr dynamischen bürstenlosen Motor BX4 (Bild 2) auch sehr feinfühlig filigrane Teile wie zerbrechliche Reagenz- und Proberöhrchen umsetzen (Bild 3). »Zu den Vorteilen des elektrischen Antriebs gehört, dass sich die Greifkraft
jederzeit an verschiedene Objekte anpasst,« führt Volker Kimmig, Teamleiter Software bei der Zimmer Group dazu aus. »Mit einer entsprechenden Steuerung kann der Greifer so im laufenden Betrieb zwischen zwei unterschiedlichen Teilen wechseln.«

Die Greifer sind also flexibel einsetzbar. Aus diesem Grund geht nicht nur in der Laborautomation der Trend zum elektrischen Antrieb, sondern auch in anderen Industrien. Der Grund: In vielen Branchen sind hohe Durchsätze rund um die Uhr bei kurzen Zykluszeiten gefragt, um die erforderlichen Stückzahlen zu erreichen.

Wartungsfreier dynamischer Dauerbetrieb

Durch den praktisch verschleißfreien bürstenlosen Antrieb in vierpoliger Ausführung ist ein zuverlässiger Betrieb über eine hohe Zyklenzahl sichergestellt. »Wir garantieren für diesen Greifer, dass er über zehn Millionen Zyklen ohne Wartung auskommt«, sagt Volker Kimming. »Das geht natürlich nur mit einem qualitativ hochwertigen Motor.« Aufgrund der hohen Stückzahlen zählt bei vielen Einsatzszenarien jede Sekunde, wie der Entwicklungsingenieur weiß: »Die Greifroboter arbeiten mit kurzen Zykluszeiten. Der Motor des Greifers muss also in kurzen Abständen hochfahren und gleich wieder stoppen. Dabei kommt es ganz entscheidend auf seine Beschleunigung an, denn für den Gesamtprozess zählt hier jede Zehntelsekunde. Zudem muss die Antriebslösung die bei einem solchen Betrieb entstehende Wärme gut ableiten, damit eine Überhitzung ausgeschlossen ist.«

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Bild 3. Feinfühlig filigrane Teile wie zerbrechliche Reagenz- und Proberöhrchen umzusetzen ist für den Kleinteilegreifer kein Problem.
© Zimmer

Je nach Einsatzszenario muss selbst bei einem noch so zuverlässigen Motor die Sicherheit bei Störungen z. B. durch Stromausfall gewährleistet sein. Die Entwickler setzen dafür auf ein selbsthemmendes Getriebe. Die Motorkraft wird dazu von einem Schneckengetriebe mit steiler Steigung auf die Greiferbacken übertragen. Auch bei einem Stromausfall bleibt so die Greifkraft und die jeweilige Position erhalten und das Werkstück wird durch diese mechanische Selbsthemmung sicher gehalten (Bild 4). Weitere sicherheitstechnische Vorrichtungen wie Bremsen sind daher nicht nötig.

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Bild 4. Auch bei einem Stromausfall bleibt die Greifkraft und die jeweilige Position erhalten.
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Stark und genau auf kleinem Raum

Zimmer hat mit dem Kleinteilegreifer GEP2000 bereits die zweite Generation mit flexiblem Elektroantrieb im Angebot. Der Vorgänger GEH6000 (Bild 5) arbeitet als sogenannter Großhubgreifer nach dem gleichen Prinzip, ebenfalls mit einem BX4-Motor, allerdings mit bis zu 80 mm Hub zwischen offener und geschlossener Position der Backen. So kann er eine größere Bandbreite an Werkstücken im Arbeitsprozess abdecken. Die kleinere Variante übernimmt dafür die Arbeit unter beengten Verhältnissen, sie arbeitet mit bis zu 16 mm Hub. Die Steuerung der beiden Greifertypen ist den Anforderungen entsprechend unterschiedlich. Während die größere Variante Encoder-Signale des Antriebs für die Backenpositionierung nutzt, arbeitet der Kleinteilegreifer mit einem separaten Positionssensor. Beide Lösungen garantieren eine sehr große Wiederholgenauigkeit von +/- 0,02 mm.

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Bild 5. Der Großhubgreifer bietet bis zu 80 mm Hub zwischen offener und geschlossener Position der Backen.
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Volker Kimmig erklärt die Vorteile an einem Beispiel: »Bei sehr beengten Verhältnissen ist es wichtig, den Greifer zum Eintauchen in das Zielobjekt exakt vorzupositionieren. Oft ist nämlich die offene Position des Greifers kaum größer als die geschlossene – selbst kleinere Abweichungen führen zum Fehlgriff.« Selbst beim »Rangieren« eines Roboterarms in komplexen Umgebungen können sehr präzise Voreinstellungen notwendig sein. Kimmig verweist zum einen auf die präzise Elektromechanik, bei der der Motor eine große Rolle spielt. Wichtig sei aber auch eine flexible Datenanbindung, die Greifer können mit IO-Link oder mit digitalen I/Os ausgestattet werden.

Der Elektroantrieb ermöglicht für die Greifer eine flexible Anbindung an die jeweilige Anwendung, er kann im laufenden Betrieb sowohl kraftvoll als auch feinfühlig zupacken und sehr präzise positionieren. Der praktisch verschleißfreie Betrieb erlaubt einen Dreischichtbetrieb über lange Zeit ohne Wartungsunterbrechungen und zumindest in diesem Aspekt ist der Greifer mit EC-Motor seinem biologischen Vorbild überlegen. (uh)


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