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Der lange Weg zum EKG-Signal

9. Mai 2011, 9:00 Uhr | Umanath Kamath, Ajay Bharadwaj

Als Teil der Vorsorgemedizin werden EKG-Geräte im Gesundheitsbereich immer wichtiger. Doch bei der EKG-Messung sind extrem niedrige Signalanteile aus einem hohen Rausch- und Störpegel zu extrahieren. Um alle störenden Signalbestandteile ausfiltern zu können, muss der Entwickler deren Ursachen kennen und geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Gut, wenn sich am Ende alle nötigen Funktionen elegant in einem Baustein integrieren lassen.

Ein Elektrokardiogramm (EKG) ist die Aufzeichnung der elektrischen Aktivitäten des Herzens im Zeitverlauf durch eine äußerlich auf der Haut befestigte Elektrode. Jede einzelne Herzzellmembran, welche den äußeren Mantel der Herzzellen bildet, hat eine eigene Spannung, die sich mit jedem Herzschlag ändert. Diese elektrischen Spannungsänderungen am Herzen werden an der Körperoberfläche gemessen, im Zeitverlauf aufgezeichnet und vom EKG verstärkt.

Willem Einthoven erfand das erste brauchbare EKG Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Das System war riesig, mehrere Personen waren für seine Bedienung nötig, und der Patient musste seine Arme und Beine in große, mit einer Elektrolytlösung gefüllte Elektrodengefäße stecken. Heute sind EKG-Überwachungsgeräte kompakt, ein 12-Kanal-EKG für den Heimgebrauch kann der Patient in einer Tasche mit sich herumtragen.

Der Begriff »Ableitung« im Zusammenhang mit einem EKG bezieht sich auf den Spannungsunterschied zwischen zwei der Elektroden.

Bild 1: Typische EKG-Wellenform

Diesen Unterschied zeichnet das Gerät auf. »Ableitung I« ist beispielsweise die Spannung zwischen den Elektroden am linken und am rechten Arm.

Ableitung I und Ableitung II heißen auch »Extremitätenableitung«, »V1« bis »V6« werden auch Brustwand-ableitungen genannt. Die EKG-Kurve »V1« ist der Spannungsunterschied zwischen »Vc1« (der Spannung der Elektrode auf der Brust) und der Durchschnittsspannung von Ableitung I, Ableitung II und Ableitung III. Ein normales 12-Kanal-EKG-System besteht aus acht tatsächlichen und vier hergeleiteten Werten. Tabelle 1 auf Seite 26 listet verschiedene Ableitungsspannungen aus tatsächlichen und hergeleiteten Werten auf.

Eine typische EKG-Kurve zeigt Bild 1: Auf der Zeitachse (X-Achse) entspricht jedes 5-mm-Kästchen 200 ms.

Die Y-Achse zeigt die Amplitude des erfassten Signals, jedes Kästchen entspricht hier 0,5 mV.

Niedriger Signalpegel

Bild 2: Zu erfassende Kenndaten des EKG-Signals

Vor der Gestaltung eines EKG-Systems muss der Entwickler zunächst die Natur des zu erfassenden Signals verstehen. Das EKG-Signal besteht aus Spannungen mit kleiner Amplitude, überlagert von hohen Offsets und Rauschen (Bild 2).

Grund für die hohen Offsets ist das halbe Zellenpotenzial, das sich an den Elektroden entwickelt. Üblicherweise in EKG-Systemen verwendete Elektroden bestehen aus Silber-Silberchlorid (Ag/AgCl) und haben eine maximale Offset-Spannung von ±300 mV. Das tatsächlich gewünschte Signal ist ±0,5 mV groß und dem Elektroden-Offset überlagert. Zudem erfasst das System das 50-Hz-Brummen der Netzleitung als Gleichtaktsignal, das aufgrund seiner hohen möglichen Amplitude gefiltert werden muss.

Ein Analog-Frontend muss zwischen Rauschen und dem gewünschten Signal kleiner Amplitude unterscheiden und ist daher ein wichtiger Teil des EKG-Systems. Am Eingang des Frontends verringert ein Messverstärker das Gleichtaktsignal, meist ein Baustein, der mit ± 5V arbeitet, um den Eingangsspannungsbereich auszunutzen. Auch muss der Messverstärker eine hohe Eingangsimpedanz aufweisen, da der Hautwiderstand ebenfalls sehr groß sein kann. Die gesamte Signalkette für das EKG-Erfassungssystem besteht aus den Messverstärkern, Operationsverstärkern für Filterung und Signalaufbereitung sowie A/D-Wandlern.

Filtern tut not

Die Signalverarbeitung ist eine große Herausforderung, da der tatsächliche Signalwert in einem Offset-Umfeld von 300 mV nur 0,5 mV beträgt. Andere Faktoren wie Störungen durch die AC-Netzversorgung oder Funkstörungen von chirurgischen Apparaten, implantierten Geräten wie Herzschrittmachern und physiologischen Überwachungsgeräten können sich auch auf die Genauigkeit auswirken. Die Hauptquelle für Rauschen im EKG sind:

  • Impulsboden-Schwankungen (Niederfrequenzrauschen),
  • 50-Hz- oder 60-Hz-Brummen von Netzleitungen,
  • Muskelrauschen, das sich nur sehr schwer beseitigen lässt, da es aus der gleichen Region wie das eigentliche Signal stammt; dieses Rauschen wird üblicherweise über die Software korrigiert,
  • andere Störungen wie zum Beispiel Funkfrequenzstörungen von anderen Apparaten.

Störungen zeigen sich üblicherweise als Gleichtaktrauschen über beide Anschlussklemmen der Differenzverstärker.

Weg mit dem Gleichtaktrauschen

Dieses Rauschen lässt sich folgendermaßen beseitigen:

  • Isolieren der Vorschaltelektronik vom Digitalsystem, soweit möglich. Ein effektives Design auf Systemebene ist hinsichtlich einer Gesamtrauschunterdrückung extrem wichtig.
  • Verwenden von Messverstärkern mit hoher Gleichtaktunterdrückung in der Größenordnung von 100 dB.
  • Rückführung eines invertierten Gleichtaktsignals in den Patientenkörper. Das rechte Bein des Patienten wird mit einem Signal beaufschlagt, das ein invertierter Durchschnitt von Ableitung I, II und III ist. Richtig skaliert verhindert dies eine Einkopplung des Gleichtaktrauschens in das System.
  • Metallisches Abschirmen des Geräts, um eine Einkopplung von hohen Funkfrequenzen in das System zu verhindern.
  • Verwenden von geschirmten, von einer gemeinsamen Spannung getriebenen Kabeln zur EKG-Erfassung, um ein Einkoppeln des Rauschens zu verringern.
  • Neben den oben genannten Methoden gibt es eine Reihe von Software-Algorithmen für die Rauschunterdrückung, nachdem das Signal erfasst wurde.

Beim Fontend-Design ist das Ziel, in das System eingekoppeltes Rauschen zu minimieren.

Impulsboden-Schwankungen eliminieren

Die Impulsboden-Schwankung ist eine Niederfrequenzkomponente im EKG-System. Sie wird durch Offset-Spannungen in den Elektroden, durch die Atmung und durch Körperbewegungen verursacht. Dies kann zu Problemen bei der Analyse der EKG-Wellenform führen. Der Offset begrenzt auch den Maximalwert der vom Messverstärker erreichbaren Verstärkung, da eine hohe Verstärkung zur Signalsättigung führen kann. Zwei Maßnahmen können dieses Rauschen beseitigen:

  • Hardware-Hochpassfilter
Bild 3: Anwendung der EKG-Signalkette mit Hardware-Hochpassfilter

Wichtig ist die richtige Grenzfrequenz, um die Impulsboden-Schwankungen zu beseitigen, ohne das EKG zu verzerren. Diese Grenzfrequenz ist meist sehr niedrig (etwa 0,05 Hz) und erfordert sperrige Kondensatoren.

Weil der Offset den Ausgang des Messverstärkers in die Sättigung führen kann, wird die Verstärkung bei dieser Methode meist zweistufig umgesetzt, was das System komplexer macht.

Andererseits kommt dieses System mit einem A/D-Wandler niedriger Auflösung (meist 8 Bit bis 16 Bit) aus.

Bild 3 zeigt das Signalfluss-Diagramm für das Hardware-Hochpassfilter.

  • Software-Hochpassfilter

Eine der Spezifikationen des EKG ist das auf den Eingang bezogene Rauschen, das für das gesamte System bei 150 Hz Bandbreite unter 30 µV liegen muss.

Für ein Software-Hochpassfilter kommen ein hoch auflösender A/D-Wandler und eine einstufige Verstärkung durch den Messverstärker zur Anwendung. Weil Verstärker mit geringem Rauschen und A/D-Wandler mit hoher Auflösung heute kostengünstig zu haben sind, ist dies das besser geeignete Verfahren.

Bild 4: Anwendung der EKG-Signalkette ohne Hardware-Hochpassfilter

Das Hardware-Hochpassfilter entfällt, und die Impulsboden-Schwankungen werden in den digitalen Bereich übertragen, wo die Filterung weniger kostet und leichter realisierbar ist. Der »PSoC3/5« von Cypress mit einem 20-Bit-A/D-Wandler und einem diskreten Filterblock ermöglicht eine solche Topologie. Wenn der Mikrocontroller auch im System integriert ist, werden die Gesamtkosten des Systems weiter verringert.

Bild 4 zeigt das Signalfluss-Diagramm ohne Hardware-Hochpassfilter.

Die Komplexität des Frontends sinkt erheblich, weil der digitale Filterblock das Signal nach der Erfassung durch den A/D-Wandler effektiv bearbeitet.

HF-Rauschen und Netzbrumm unterdrücken

Gemäß IEC-Spezifikation beträgt die erforderliche Bandbreite eines EKG-Geräts 0,5 Hz bis 150 Hz. EKG-Geräte können jedoch Herzschrittmacher erkennen - entweder per spezieller Hard- oder per Software. Für die Erfassung per Software muss die Abtastfrequenz des A/D-Wandlers 3 kSample/s bis 4 kSample/s betragen. Der Vorteil der Softwarelösung: Durch Änderungen in der Firmware lässt sich das EKG-Gerät an verschiedene Arten von Herzschrittmachern anpassen.

Der größte Teil des Hochfrequenzrauschens lässt sich vor dem A/D-Wandler wegfiltern. Zudem kann das Gerät gegen einstrahlendes Hochfrequenzrauschen abgeschirmt werden. Ein digitales Funkentstörfilter nach dem A/D-Wandler beseitigt Hochfrequenzrauschen in der EKG-Kurve. Im Vergleich mit dem HF-Rauschen ist die Amplitude des Netzbrumms sehr groß, daher wird dieser trotz sorgfältiger Gleichtaktunterdrückung meist in das System eingekoppelt und muss daher dort über ein digitales Sperr-filter bei 50 Hz beseitigt werden.


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