Chiptechnologie überwacht den Blutzucker von Diabetes-Patienten

Glukosemessung per Implantat

18. Februar 2013, 10:43 Uhr | von Uwe Günther
Bild 4: Größenvergleich des Sensors (15 mm x 3 mm) mit einer US-Cent-Münze
© ZMDI

In Hörgeräten erprobte Halbleitertechnologie bildet die Basis für ein ASIC, mit dem sich in einem implantierbaren Sensor der Blutzuckergehalt von Diabetes-Patienten kontinuierlich bestimmen lässt. Ein halbes Jahr kann dieser Sensor im Körper bleiben, dann ist das biochemische fluoreszierende Sensormaterial verbraucht. Momentan läuft die klinische Erprobung des Systems.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mit mehreren Millionen registrierter Erkrankungen ist Diabetes heute eine Volkskrankheit und eine der wesentlichen Ursachen für zahlreiche Kreislauferkrankungen. Medizinisch unterscheidet man hierbei Patienten mit Diabetes Typ 1, bei denen die Bauspeicheldrüse kein Insulin produziert, und den Typ 2 (Altersdiabetes), bei dem der Körper eine Resistenz gegen Insulin zeigt.

Patienten des Typ 1 benötigen ein kontinuierliches Monitoring ihres Glukosewertes und eine Pumpe, die mit Hilfe eines Katheters Insulin in den Körper leitet. Der herkömmliche Weg der Blutzuckermessung ist, dass der Patient seinen Glukosewert mit Hilfe eines Tropfen Blutes, eines Teststreifens und eines Monitors bestimmt und die Pumpe dementsprechend einstellt.

Zwar gibt es bereits Monitore, die den Glukosewert kontinuierlich subkutan messen, diese müssen allerdings nach wenigen Tagen ausgetauscht werden. Dies kann sich in Zukunft ändern, denn der Einsatz moderner und besonders energieeffizienter Chiptechnologie bietet neue Behandlungsmöglichkeiten, die das tägliche Leben der Diabetes-Patienten deutlich angenehmer gestalten können.

So hat das Unternehmen SMSI (Sensors for Medicine and Science, www.s4ms.com) als Spezialist für medizinische Sensortechnik einen Sensor auf Basis einer fluoreszierenden Technologie entwickelt, der wiederum die Basis für ein implantierbares, kontinuierliches Glukosemesssystem bildet. Die komplette Elektronik des Sensors sitzt in einem ASIC, welches das Unternehmen ZMDI als Spezialist für Halbleitertechnologie innerhalb weniger Monate für seinen Partner SMSI entwickelt hat. Die Hauptanforderungen an diesen Chip waren:

  • Ansteuerung einer LED,
  • Auswertung des reflektierten Lichts,
  • Vorverarbeitung der Messdaten,
  • nichtflüchtiger Speicher,
  • Funkschnittstelle zur Ergebnisübertragung (Standard-Interface),
  • keine Batterie, extreme Low-Power/Low-Voltage-Anforderungen,
  • medizinische Zulassung notwendig als Implantat sowie
  • ein spezieller Formfaktor.
Bild 1: Blockschaltbild des SoC-ASICs für einen Sensor zur kontinuierlichen Messung des Blutzuckerwerts
Bild 1: Blockschaltbild des SoC-ASICs für einen Sensor zur kontinuierlichen Messung des Blutzuckerwerts
© ZMDI

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wählten die ZMDI-Ingenieure eine Halbleitertechnologie, die bereits bei Hörgeräten zum Einsatz kommt.

Diese Technologie zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass sie auch noch bei einer Betriebsspannung von 0,85 V einsetzbar ist und sehr niedrige Leckströme aufweist.

Ein weiteres wichtiges Auswahlkriterium war die Verfügbarkeit eines nichtflüchtigen Speichers und von »On-Chip«-Fotodioden in dieser Technologie. Basierend auf der ausgewählten Technologie definierten die Entwickler zunächst die Architektur, wie sie im Blockdiagramm in Bild 1 zu sehen ist.

  • RFID-Frontend (ISO 15693):

Als Kommunikationsschnittstelle zu einem externen Reader, aber auch für die Energieversorgung des Chips wurde eine RFID-Schnittstelle auf Basis des ISO-15693-Standards implementiert. Dabei legten die ZMDI-Ingenieure die Schaltung so aus, dass sich starke Schwankungen im Stromverbrauch, beispielsweise beim Einschalten des LED-Treibers, nicht auf die Kommunikation über die Drahtlosschnittstelle auswirken. Eine digitale, »festverdrahtete« Logik realisiert das Kommunikationsprotokoll für die Kommunikation zwischen dem Chip und dem Reader nach ISO 15693, wobei auch hier der Fokus auf niedrigem Energieverbrauch liegt.

  • »Measurement Control«-State-Machine:

Diese Einheit enthält die Ansteuerung der Messeinheit. Hierbei wurde ein vom Kunden vorgegebener, spezieller Messalgorithmus in einer festverdrahteten Logik implementiert. Darüber hinaus übernimmt diese Einheit auch die Kommunikation mit dem ISO-Controller der RFID-Schnittstelle.

  • Analogschnittstelle:

Teil des Analog-Interface ist der LED-Treiber, der von einem 3-Bit-D/A-Wandler angesteuert wird. Dieser D/A-Wandler kann die LED weich einschalten und verhindert so abrupte Spannungseinbrüche im System. Mit Hilfe eines 11-Bit-A/D-Wandlers kann der Baustein einen »On-Chip«-Temperatursensor, die zwei »On-Chip«-Fotodioden, als auch zwei »Off-Chip«-Fotodioden sowie die aktuelle »Feldstärke« des extern angelegten Magnetfelds messen. Diese Daten werden dann mittels der »Control State-Machine« an das RFID-Frontend übergeben und drahtlos zu einem externen Reader übertragen.

Bild 2: Die-Foto des von ZMDI entwickelten ASICs mit den einzelnen Funktionsblöcken
Bild 2: Die-Foto des von ZMDI entwickelten ASICs mit den einzelnen Funktionsblöcken
© ZMDI

Besonders viel Aufwand steckte das ZMDI-Team in die Entwicklung des gesamten Power-Managements des Chips. Niedriger Stromverbrauch ist extrem wichtig, da die RFID-Schnittstelle die Energieversorgung gewährleisten muss.

Aufgrund der Baugröße muss die Empfängerantenne sehr klein sein, dadurch bedingt ist die Effizienz der Energieübertragung von einem externen Reader niedrig und die zur Verfügung stehende Energie stark eingeschränkt. Extrem wichtig ist auch, dass beim Einschalten des analogen Messsystems und des LED-Treibers keine abrupten Schwankungen in der von dem RFID-Interface erzeugten Versorgungsspannung auftreten, welche die drahtlose Kommunikation stören können. Das System ist so ausgelegt, dass nur die jeweils benötigten Funktionsblöcke mit Spannung versorgt werden. Insgesamt gibt es folgende »Energiezustände«:

  • Leistung für den Datenaustausch zwischen Reader und Messsystem (z.B. RF-Status, Feldstärke, Messdatenübertragung): 1,1 mW,
  • Leistung für kompletten Messablauf inklusive Ansteuerung der LED: 10 mW,
  • Leistung für die Programmierung des nichtflüchtigen On-Chip-Speichers: 14 mW.
Bild 3: Systematischer Aufbau des »Lab in Package«-Sensors mit dem ASIC, der Ferritantenne und dem (außen auf-gebrachten) fluoreszierenden Indikatormaterial
Bild 3: Systematischer Aufbau des »Lab in Package«-Sensors mit dem ASIC, der Ferritantenne und dem (außen auf-gebrachten) fluoreszierenden Indikatormaterial
© ZMDI

Aufgrund der Erfahrung von ZMDI auf dem Gebiet der Low-Power-/Low-Voltage-Entwicklung war bereits die erste Version des ICs voll funktionsfähig und kann für die klinischen Studien eingesetzt werden. Bild 2 zeigt den Chip und kennzeichnet die verschiedenen Funktionsblöcke. Das ASIC wird als zentrale Funktionseinheit in dem implantierbaren kontinuierlichen Glukosesensor verwendet.

In Bild 3 ist der Aufbau dieses »Lab-in-Package« zu sehen. Mit einer Größe von 15 mm x 3 mm (Bild 4) lässt sich der Sensor entweder am Handgelenk oder aber in den Oberarm implantieren. Für die Anwendung am Handgelenk entwickelte SMSI eine speziell Uhr als »Reader«, die über dem Sensor sitzt und ihn etwa alle drei Minuten mit Energie versorgt.

Daraufhin startet der Sensor den Messvorgang und sendet die Messdaten an die Uhr, die den Glukosewert darstellt. Für die Anwendung am Oberarm entstand eine spezielle Armbinde, die sowohl einen Reader als auch eine Bluetooth-Schnittstelle beinhaltet.

Bild 4: Größenvergleich des Sensors (15 mm x 3 mm) mit einer US-Cent-Münze
Bild 4: Größenvergleich des Sensors (15 mm x 3 mm) mit einer US-Cent-Münze
© ZMDI

Bei dieser Anwendung sendet die Armbinde die Messdaten (via Bluetooth) auf ein Smartphone, das dann die Darstellung des Glukosewertes sowie eine statistische Auswertung übernimmt. Zudem kann die Smartphone-Anwendung die Daten auch via GSM direkt an eine Arztpraxis zur dortigen Kontrolle übermitteln.

Bild 5 zeigt das Komplettsystem, wie es zurzeit erprobt wird. Etwa sechs Monate verbleibt der Sensor im Körper und muss dann ausgetauscht werden, da das biochemische fluoreszierende Sensormaterial verbraucht ist.

Zurzeit befindet sich das System in der klinischen Erprobung in den USA, Kanada, Deutschland und Indien.

Bild 5: Das Komplettsystem mit im Oberarm implantiertem Sensor, Armbinde und Datenübertragung per Bluetooth an ein Smartphone
Bild 5: Das Komplettsystem mit im Oberarm implantiertem Sensor, Armbinde und Datenübertragung per Bluetooth an ein Smartphone
© ZMDI

Voraussichtlich im ersten Quartal 2013 wird die CE-Zulassung erfolgen, sodass das System ab diesem Zeitpunkt auf dem europäischen Markt verfügbar sein könnte.

Die Entwicklung dieses Systems auf Basis des ASICs von ZMDI ist ein erster Schritt in Richtung einer »künstlichen Bauchspeicheldrüse«.

Mit dem Sensor ist es möglich, den Glukosewert kontinuierlich zu einer externen Kommunikationseinheit (zum Beispiel Mobilfunkgerät) zu senden.

Diese könnte dann, basierend auf den empfangenen Daten, eine Insulinpumpe ansteuern und somit einen geschlossenen Regelkreis bilden, der die Funktion der Bauchspeicheldrüse ersetzt.

Über den Autor:

Uwe Günther ist Product Line Manager medical bei ZMDI.


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