Start-ups in der Medizin

»Innovation heißt auch Verfügbarkeit«

1. März 2019, 16:30 Uhr | Melanie Ehrhardt
Dr. Jochen Hurlebaus, Projektleiter
© Roche

Start-ups wollen das Gesundheitswesen nach vorne bringen. Ob Künstliche Intelligenz zur Unterstützung der Diagnostik oder Big-Data-Analysen für individuelle Therapien: Ideen gibt es viele, nur marktreife Produkte fehlen oft. Das liegt jedoch nicht nur an den Gründern selbst.

Anfang letzten Jahres startete der erste Digital Health Accelerator für Start-ups. Hauptsponsor Roche wollte damit die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben, den Innovationsstandort München stärken und die Entwicklung nachhaltiger Netzwerke fördern. Unterstützung erhielt Roche dabei von zwei erfahrenen Partnern, die selbst in der Start-up Szene verwurzelt sind: das Werk1, ein Inkubator für digitale Start-ups in München und Plug and Play (Silicon Valley).

Ziel des Digital Health Accelerator war es, Innovationen, neues Denken und gegenseitiges Lernen von Industrie und Start-ups zu fördern. Insgesamt fünf deutsche und internationale Start-ups nahmen an der Pilotphase teil: FibriCheck (Belgien), StethoMe (Polen), Inveox (Deutschland), SagivTech (Israel) und Medicus.ai ­(Österreich). Medizin+elektronik sprach mit Projektleiter Dr. Jochen Hurlebaus über die Ergebnisse des »Batch Zero«, und wie es mit ihm weitergeht, die Rolle von Start-ups in der Medizin und darüber, wie aus einer Idee ein erfolgreiches Geschäfts­modell werden kann.

Zur Person
Dr. Jochen Hurlebaus ist Projektleiter des Digital Health Accelerator und seit 2011 Head of Innovation & IP ­Management des Geschäftsbereichs Centralised and Point of Care Solutions der Roche Diagnostics GmbH, Penzberg. Seit 2001 arbeitet er bei Roche in unterschiedlichen Positionen, zuletzt als Director Innovation Management. Hurlebaus ist promovierter Bioinformatiker und besitzt einen MBA-Abschluss.

 

Medizin+elektronik: Wer hat den Accelerator bei Roche initiiert und warum?

Dr. Jochen Hurlebaus: Die Digitalisierung bedeutet einen der größten Umbrüche, den die Gesundheitsindustrie je erlebt hat. Um erfolgreich die Weichen für die Gesundheitsversorgung von morgen zu stellen, ist es wichtig, dass verschiedene Akteure mit unterschiedlichen Stärken zusammenarbeiten. Während die etablierten Unternehmen viel Know-how mitbringen, zum Beispiel im Bereich Regulatory und Vertrieb, bringen Start-ups Dynamik und neue Ideen ein, die für die Entwicklung digitaler Lösungen nötig sind.

Start-ups zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass sie für das Testen neuer Lösungen und Geschäftsmodelle direkt auf Patienten, Ärzte und weitere Akteure im Gesundheitswesen zugehen. So identifizieren sie neue Nischen, in denen Geschäftsmodelle mit großem Zukunftspotenzial reifen können. Ein solches Vorgehen ist für große Konzerne und Unternehmen oft nicht ohne weiteres möglich. Mit dem ­Digital Health Accelerator wollten wir neue Wege gehen. Ziel war es, Innovationen, neues Denken und gegenseitiges Lernen von Industrie und Start-ups zu fördern.

Von solchen Programmen profitieren also nicht nur die jungen Unternehmen?

Hurlebaus: Der direkte Austausch ermöglicht beiden Seiten einen Perspektivenwechsel, von dem wir uns neue Impulse versprechen. Konkret sind das neue Ansätze im Umgang mit Big Data, Real World Data, die außerhalb von klinischen Studien in der Routine gesammelt werden, und neue digitale Lösungen, die einerseits die Forschung und Entwicklung beschleunigen und andererseits zur Entwicklung von Produkten beitragen, die eine verbesserte Versorgung von Patienten im Sinne der personalisierten Medizin ermöglichen. Gerade der letzte Punkt ist für uns in der Diagnostik sehr wichtig. Aktuell zählen Labore und – für manche Produkte – auch behandelnde Ärzte und Pfleger zu den Kunden von Roche.

Zu Patienten, chronisch Erkrankten und Personen mit Vorerkrankungen, die noch gar nicht diagnostiziert sind, haben wir üblicherweise keinen direkten Zugang. Genau für diese Zielgruppe bietet jedoch die Integration von neuen Sensoren und Smartphone-Apps in Kombination mit den hochkomplexen diagnostischen Tests großes Potenzial für eine verbesserte Versorgung.

Die Entwicklungen der Start-ups im Batch Zero zielen auf ganz unterschiedliche Anwendungen und Problemstellungen – von der App für Labor- und Gesundheitsdaten bis hin zum intelligenten Stethoskop für zuhause. Warum haben Sie sich für diese fünf Unternehmen entschieden?

Hurlebaus: Wir haben die teilnehmenden Start-ups für die Pilotphase des Digital Health Accelerators über mehrere Wege ausgewählt. Ein Ansatz war der »FXH Start-up Award 2017«, der im Rahmen des »Future X Healthcare Events« verliehen wurde, das erstmals im November 2017 mit mehr als 300 Teilnehmern unter dem Motto »Making Data Meaningful« in München stattfand.

Mit dem Award haben wir Start-ups ausgezeichnet, die unserer Meinung nach herausragende Lösungen für den Umgang mit der zunehmenden Menge an verfügbaren Gesundheitsdaten entwickelt haben, um die Digitalisierung des Gesundheits­wesens voranzutreiben. Unsere Experten prüften in einem internen Assessment-Prozess über 130 eingereichte Bewerbungen von Start-ups weltweit auf Kriterien wie USP, technologische Aspekte, Team und Traction wie zum Beispiel Reife der digitalen Anwendungen.

Beim finalen Pitch setzten sich schließlich FibriCheck aus Belgien und StethoMe aus Polen vor einer interdisziplinären und internationalen Expertenjury durch. Darüber hinaus haben wir nach Start-ups Ausschau gehalten, die inhaltlich einen hohen thematischen Überschneidungsgrad mit Roche haben, der für die Start-ups und Mentoren im Rahmen des Digital Health Accelerator einen klaren Anknüpfungspunkt bietet.

Nach fünf Monaten endete das Projekt im Juni 2018. – Wie ging es danach weiter?

Hurlebaus: Während des Batch Zero haben die teilnehmenden Start-ups und Roche Mentoren intensiv zusammengearbeitet, viel voneinander gelernt und gezeigt, dass sich die Stärken beider Unternehmenswelten optimal ergänzen können.

Mit dem Demo Day am 7. Juni 2018 fand die Pilotphase einen erfolgreichen Abschluss. An diese Erfolgsgeschichte wollen wir ­natürlich anknüpfen. Der ­Digital Health Accelerator gingt daher im September 2018 unter dem Namen Startup Creasphere mit dem »Batch One« im September in München in die nächste Runde. Mit dabei sind sieben internationale und nationale Start-ups, die sich beim Selection Day Mitte September mit ihren ­Pitches durchsetzen konnten. Unser Ziel ist es, dass wir zukünftig zwei Batches pro Jahr durchführen.

Unterstützung erhalten wir dabei von Plug and Play, die als einer der weltweit größten Acceleratoren ihr Business Know-how und ihre Kontakte einbringen. Außerdem werden wir mit weiteren Partnern, wie Vertretern aus der IT-Branche, Versicherungen, Krankenkassen und Krankenhäuser kooperieren. Auch Kunden, Verbände und Patientengruppen sollen berücksichtigt werden. Wir sind überzeugt, dass es einen offenen Austausch zwischen allen beteiligten Akteuren braucht, um gemeinsam die digitale Zukunft des Gesundheitswesens zum Wohle des Patienten zu gestalten.

Werden Sie die Start-ups des Batch Zero auch weiterhin unterstützen?

Hurlebaus: Mit vier der fünf Start-ups sind wir über eine weitere Zusammenarbeit im konkreten Austausch. Aufgrund der unterschiedlichen Reifegrade und Schwerpunkte der einzelnen Unternehmen kann die Art der Zusammenarbeit sehr unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise nutzen wir die FibriCheck App im Rahmen der »Roche Wellbeing«-Woche in der Schweiz, um unseren Mitarbeitern zu zeigen, welche Digital-Health-Lösungen bereits existieren. Mit der Smartphone App lassen sich potenzielle Herzrhythmusstörungen identifizieren. Zusätzlich planen wir eine Erweiterung der App zur Integration weiterer Blutwerte von Patienten sowie eine Studie in einem europäischen Land, um den gesundheitsökonomischen Nutzen der App zu zeigen.

Bei den geplanten Projekten mit Medicus.ai haben wir einen ähnlichen Fokus. In der weiteren Zusammenarbeit mit SagivTech geht es darum, gemeinsam Konzepte für die Zukunft der digitalen Pathologie zu entwickeln. Mit Inveox wollen wir ab Herbst 2018 gemeinsam über die Nutzung von Bildern, die das System von Gewebeproben macht, diskutieren. Anwendungen gibt es hier zum Beispiel in der Qualitätskontrolle, um Verwechslungen auszuschließen. Letztere Themen sind noch weiter entfernt von einer Produktentwicklung, liefern aber die Basis für potenzielle gemeinsame Zukunftsprojekte.


  1. »Innovation heißt auch Verfügbarkeit«
  2. »Nicht alle Unternehmen sehen sich als Innovationstreiber«

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