Minimalinvasive Chirurgie

Trainieren für den Ernstfall

17. Februar 2022, 11:17 Uhr | Otto-von-Guericke-Universität
Prof. Dr. med. Thorsten Walles (l) hat den 3D-gedruckten Patienten auch schon versorgt.
© UMMD / C. Morawe

Thorax-Modell soll Chirurgen auf schwierige Eingriffe vorbereiten

Jährlich werden in Deutschland schätzungsweise 50.000 Lungenoperationen durchgeführt so Walles. Nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Anstiegs von Lungenkrebserkrankungen nehme diese Zahl jedes Jahr weiter zu. Dank der technischen Entwicklungen der letzten Jahre können heutzutage viele diagnostische und ca. 30 Prozent der größeren Brustkorb-Operationen mit Entfernung ganzer Lungenabschnitte bereits als Schlüssellochoperationen minimalinvasiv durchgeführt werden. Das Ziel der Thoraxchirurgen ist es, möglichst vielen Patienten ein minimalinvasives Operationsverfahren anbieten zu können.

Aktuelles Beispiel: Ingenieure und Humanmediziner der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben gemeinsam ein Ausbildungs- und Trainingsmodell für Operationen am menschlichen Brustkorb entwickelt. Dieses aus realen Patientendaten mittels 3D-Druck entstandene Modell soll künftig sowohl in der studentischen Lehre als auch in der Thoraxchirurgie als wirklichkeitsgetreues Trainingsmodell für Operateure eingesetzt werden. Darüber hinaus sei der Einsatz in der Ausbildung von Pflegekräften oder für Schulungen in der Medizintechnikbranche denkbar, so Prof. Dr. med. Thorsten Walles, Leiter der Thoraxchirurgie der Universitätsmedizin Magdeburg und Mitinitiator des Projekts Magdeburger Thorax-Modell.

Trainingsthorax aus dem 3D-Drucker

»Lungenoperationen, zum Beispiel, sind technisch hochkomplexe Eingriffe«, erklärt der Chirurg. In der minimalinvasiven Chirurgie stelle der Brustkorb aufgrund seines Knochenpanzers aus Rippen, Brustbein und Wirbelsäule und den durch sie geschützten sensiblen und hochempfindlichen inneren Organen eine besondere Herausforderung für die Behandlungsteams dar. »Die minimalinvasive Brustkorbchirurgie erfordert darum von den Operateuren besondere psychomotorische Fähigkeiten, die außerhalb des OP-Bereichs erlernt werden müssen. Dafür fehlt es bis heute an guten Modellen«, so Walles.

Das für solche Schulungszwecke entwickelteThorax-Modell bildet die räumliche Situation im menschlichen Brustkorb exakt ab. Ein Prototyp wurde aus anonymisierten Patientendaten generiert und ist deshalb eine 1:1-Kopie eines menschlichen Brustkorbs. »Wir haben die Herausforderung, die aus dem universitären Lungenzentrum an uns herangetragen wurde, gern angenommen«, so Fabian Laufer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung der Fakultät für Maschinenbau. Der Nachwuchswissenschaftler und sein Team haben anonymisierte Patientendaten aus Bildgebungen in Computertomografen der Uniklinik erhalten. Diese wurden in den Computer eingelesen, mittels verschiedener Software verarbeitet, zerlegt und ein handelsüblicher 3D-Drucker mit den abgeleiteten Modellparametern gefüttert.

Anschließend wurde aus dem widerstandsfähigen Kunststoff PETG (Polyethylenenterephthalat-Glycol) ein ca. 50 mal 40 Zentimeter großes Brustkorbmodell gedruckt. Es ist desinfizierbar und wird durch ebenfalls gedruckte Modelle der im Brustkorb liegenden Organe ergänzt.Komplettiert wird es durch eine stabile Außenhülle, die den Muskel- und Weichteilmantel eines Patienten exakt abbildet und in Zusammenarbeit mit dem studentischen Universitätsteam des UMD Racing umgesetzt wurde.

Weiblicher und kindlicher Brustkorb sollen folgen

Dieses Detail der Hülle sei wichtig, ergänzt Walles: »In der Roboterchirurgie gibt es Standards für die Zugangswege zur Lunge und den anderen Brustkorborganen, aber die müssen trainiert und erlernt werden. Bisher passiert dies mit Hilfe von Modellen für die Bauchchirurgie. Aber die sind sehr unpräzise«, so der Thoraxchirurg. Was fehlte, war ein Modell, das die Situation im Brustkorb natürlich abbildet, wo störende Rippen da sind, innere Organe vorhanden sind. Mit solchen Modellen soll es künftig möglich sein, sowohl in der Lehre und Ausbildung als auch im Klinischen Alltag zu trainieren und das Erlernen von Operationsprozessen zu standardisieren. 

Das Modell wurde bereits bei medizinischen Fachmessen der Öffentlichkeit vorgestellt und sei hervorragend angenommen worden, so Walles. Erste Unternehmen würden es bereits für medizintechnische Demonstrationszwecke oder das Anwendungstraining ihrer Implantate verwenden. Weitere Modelle seien bereits in der gemeinsamen Planung der Mediziner und Ingenieure.

»Für die operationstechnisch signifikant unterschiedlichen Anforderungen wollen wir künftig auch einen kleineren ‚weiblichen‘ und einen ‚kindlichen‘ Brustkorb entwickeln«, sagt Laufer. Aufgrund des angewandten additiven Fertigungsverfahrens könnten künftig auch weitere individuelle Kundenwünsche bei der Implementierung von speziellen Funktionen und Eigenschaften berücksichtigt werden. (me)


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