Biomedizin

Autarker Sensorbetrieb im Blut

24. August 2021, 8:58 Uhr | TU Chemnitz
Eine Anordnung von 90 flexiblen und implantierbaren sogenannten Nano-Biosupercapacitors. Diese ermöglichen den autarken Betrieb von Mikrosensorik für den Einsatz unter anderem im Blut.
© Forschungsgruppe Prof. Dr. Oliver G. Schmidt

Nano-Biosuperkondensator liefert Energie für mikrorobotische Systeme

Die Miniaturisierung von mikroelektronischer Sensorik, mikroelektronischen Robotern oder intravaskulären Implantaten schreitet schnell voran. Sie stellt die Forschung aber auch vor große Herausforderungen. Eine der größten ist die Entwicklung winziger und dennoch effizienter Energiespeicher, die den Betrieb autonom arbeitender Mikrosysteme ermöglichen, zum Beispiel in immer kleineren Bereichen des menschlichen Körpers.

Darüber hinaus müssen diese Energiespeicher bio-kompatibel sein, um überhaupt im Körper eingesetzt werden zu können. Nun gibt es einen ersten Prototyp, der diese wesentlichen Eigenschaften vereint. Der Durchbruch gelang einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Prof. Dr. Oliver G. Schmidt, Inhaber der Professur Materialsysteme der Nanoelektronik an der Technischen Universität Chemnitz, Initiator des Zentrums für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) an der TU Chemnitz und Direktor am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) Dresden. Auch das Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF) war als Kooperationspartner an der Studie beteiligt.

Sensorik-Einsatz in Blutbahnen

In der aktuellen Ausgabe von Nature Communications berichten die Forscherinnen und Forscher vom bisher kleinsten sogenannten »Biosuperkondensator«, der bereits in (künstlichen) Blutbahnen funktioniert und als Energiequelle für ein winziges Sensorsystem zur Messung des pH-Wertes verwendet werden kann. Dieses Speichersystem eröffnet Möglichkeiten für intravaskuläre Implantate und mikrorobotische Systeme für die Biomedizin, die in schwer zugänglichen kleinen Räumen tief im Inneren des menschlichen Körpers agieren könnte. So kann zum Beispiel die Erfassung des pH-Wertes im Blut in Echtzeit bei der Vorhersage der frühen Tumorbildung helfen. 

Die Herstellung der Proben und die Untersuchung des Biosuperkondensators erfolgten größtenteils im Zentrum für Materialien, Architekturen und Integration von Nanomembranen (MAIN) an der TU Chemnitz. »Die Architektur unserer Nano-Bio-Superkondensatoren bietet die erste potenzielle Lösung für eine der größten Herausforderungen - winzige integrierte Energiespeicher, die den autarken Betrieb multifunktionaler Mikrosysteme ermöglichen«, sagt Dr. Vineeth Kumar, Forscher im Team von Prof. Schmidt und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungszentrum MAIN.

Spannungen vergleichbar einer AAA-Batterie

Immer kleinere Energiespeicher im Submillimeterbereich - sogenannte »Mikro-Superkondensatoren« - für immer kleinere mikroelektronische Bauteile stellen aber nicht nur eine große technische Herausforderung dar. Denn in der Regel benutzen diese Superkondensatoren keine biokompatiblen Materialien, sondern zum Beispiel korrosive Elektrolyten und entladen sich bei Defekten und Verunreinigungen schnell von selbst. Beide Aspekte machen sie für biomedizinische Anwendungen im Körper ungeeignet. Eine Lösung bieten sogenannte »Biosuperkondensatoren (BSCs)«. Sie besitzen zwei wichtige Eigenschaften: Sie sind vollständig biokompatibel, das heißt, dass sie in Körperflüssigkeiten wie Blut eingesetzt und für weitere medizinische Studien genutzt werden können.

Zudem können Biosuperkondensatoren das Selbstentladungsverhalten durch bioelektrochemische Reaktionen kompensieren. Dabei profitieren sie sogar noch von körpereigenen Reaktionen. Denn zusätzlich zu typischen Ladungsspeicherreaktionen eines Superkondensators steigern Redox-Enzyme und lebende Zellen, die natürlicherweise im Blut vorhanden sind, die Leistung des Bauteils um 40%.

Die derzeit kleinsten derartigen Energiespeicher sind größer als 3 Kubikmillimeter. Dem Team um Prof. Oliver Schmidt ist es nun gelungen, einen 3.000 Mal kleineren röhrenförmigen Biosuperkondensator herzustellen, der mit einem Volumen von 0.001 Kubikmillimeter  (1 Nanoliter) weniger Raum als ein Staubkorn einnimmt und dennoch bis zu 1,6 V Versorgungsspannung für zum Beispiel mikroelektronische Sensorik im Blut liefert. Das entspricht in etwa der Spannung einer handelsüblichen AAA-Batterie, wobei der eigentliche Stromfluss auf diesen kleinsten Skalen natürlich bedeutend geringer ist. Die flexible röhrenförmige Geometrie des Nano-Biosuperkondensators bietet Selbstschutz gegen Deformationen, die durch pulsierendes Blut oder Muskelkontraktion entstehen. Bei voller Kapazität kann der vorgestellte Nano-Biosuperkondensator ein komplexes vollintegriertes Sensorsystem zur Messung des pH-Wertes im Blut betreiben.

Flexibel, robust und winzig

Bei der Origami-Technologie setzt man die benötigten Materialien für die nBSC-Bauelemente auf einer Waferoberfläche unter hohe mechanische Verspannung. Werden die Materialschichten anschließend kontrolliert von der Oberfläche abgelöst, wird die Verspannungsenergie freigesetzt und die Schichten wickeln sich von selbst mit hoher Genauigkeit und Ausbeute (95%) zu kompakten 3D-Bauteilen auf.

Die so hergestellten Nano-Biosuperkondensatoren wurden in drei Lösungen, sogenannten Elektrolyten, getestet: Kochsalzlösung, Blutplasma und Blut. In allen drei Elektrolyten war die Energiespeicherung ausreichend erfolgreich, wenn auch mit unterschiedlicher Effizienz. Im Blut zeigte der Nano-Biosuperkondensator eine exzellente Lebensdauer und hielt bis zu 70% der anfänglichen Kapazität auch noch nach 16 Stunden bereit. Um die schnelle Selbstentladung zu unterdrücken, wurde ein Protonenaustauschseparator (PES) eingesetzt.

Leistungsstabilität auch unter realistischen Bedingungen

Um die natürlichen Körperfunktionen in unterschiedlichen Situationen aufrechtzuerhalten, stehen die Strömungseigenschaften des Blutes und der Druck in den Gefäßen unter ständiger Veränderung. Der Blutfluss pulsiert und variiert je nach Gefäßdurchmesser und Blutdruck. Jedes implantierbare System innerhalb des Kreislaufsystems muss diesen physiologischen Bedingungen bei stabiler Leistung standhalten.

Das Team untersuchte daher die Leistungsfähigkeit ihrer Entwicklung - ähnlich wie in einem Windkanal - in sogenannten mikrofluidischen Kanälen mit Durchmessern von 120 bis 150 µm (0,12 bis 0,15 mm), um Blutadern verschiedener Größe nachzuahmen. In diesen Kanälen simulierten und testeten die Forscherinnen und Forscher das Verhalten ihrer Energiespeicher unter verschiedenen Fließ- und Druckbedingungen. Sie stellten fest, dass die Nano-Biosuperkondensatoren ihre Leistung unter physiologisch relevanten Bedingungen gut und stabil bereitstellen können.

Unterstützung für die Tumor-Diagnostik 

Das Wasserstoffpotential (pH) des Blutes ist Schwankungen unterworfen. Eine kontinuierliche Messung des pH-Wertes kann so zum Beispiel bei der Früherkennung von Tumoren helfen. Für diesen Zweck entwickelten die Forscherinnen und Forscher einen pH-Sensor, der durch den Nano-Biosuperkondensator mit Energie versorgt wird.

Die bereits im Forschungsteam von Prof. Oliver Schmidt zuvor etablierte 5 µm thin film transistor (TFT)-Technologie konnte genutzt werden, um einen Ringoszillator mit außergewöhnlicher mechanischer Flexibilität zu entwickeln, der bei niedriger Leistung (nW bis µW) und hohen Frequenzen (bis bis 100MHz) arbeitet. Für das aktuelle Projekt verwendete das Team einen fünfstufigen Ringoszillator. Das Team integrierte in den Ringoszillator einen pH-sensitiven BSC, sodass es zu einer Änderung der Ausgangsfrequenz in Abhängigkeit vom pH-Wert des Elektrolyten kommt. Dieser pH-sensitive Ringoszillator wurde ebenfalls mit der Swiss-Roll-Origami Technik in eine röhrenförmige 3D-Geometrie gebracht, sodass ein vollintegriertes und ultra-kompaktes System aus Energiespeicher und Sensor geschaffen werden konnte.  

Der hohle Innenkern dieses winzigen Sensorsystems dient als Kanal für das Blutplasma. Darüber hinaus ermöglichen drei mit dem Sensor in Reihe geschaltete nBSCs eine besonders effiziente und autarke pH-Messung. Mit diesen Eigenschaften ergeben sich nach Aussage der Forscher und Forscherinnen breite Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Diagnostik und Medikation.

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(me)


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