Medtech-Fertigung

3D-Druck von Augenprothesen

1. Dezember 2021, 14:30 Uhr | Fraunhofer IGD
Steve Verze ist der erste Patient weltweit, der mit einer vollständig digital gedruckten Augenprothese versorgt wurde.
© Moorfields Eye Hospital NHS Foundation Trust

Fraunhofer-Software Cuttlefish:Eye nutzt einen 3D-Scan der Augenhöhle

Eine 3D-gedruckte Augenprothese wird nicht nur in einem Bruchteil der Zeit hergestellt, die das herkömmliche Verfahren benötigt, sondern sie sieht auch realistischer aus. Möglich machen dies die Algorithmen von »Cuttlefish:Eye«, einer Software des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung IGD. In enger Zusammenarbeit mit der britischen Firma Ocupeye Ltd. hat das Darmstädter Forschungsteam ein Verfahren entwickelt, um aus einem Scan der Augenhöhle und einem Foto des gesunden Auges ein virtuelles Modell zu erstellen. Dieses dient als digitale Plattform für den 3D-Druck. Die Technologie zur Herstellung von Prothesen wird nun in einer klinischen Studie am Moorfields Eye Hospital in London erstmals bei Patienten eingesetzt.

»Wir sind von dem Potenzial dieses vollständig digitalen Auges begeistert«, sagt Prof. Mandeep Sagoo, Facharzt für Augenheilkunde in Moorfield Er hofft, dass die bevorstehende klinische Studie zuverlässige Erkenntnisse über den Mehrwert liefert und die Vorteile für die Patienten aufzeigt. »Die Technologie hat eindeutig das Potenzial, die Wartelisten zu verkürzen.«

Produktion beschleunigen, Wartezeiten verkürzen

Augenprothesen werden immer dann notwendig, wenn ein Auge aus gesundheitlichen Gründen operativ entfernt werden musste, zum Beispiel infolge einer schweren Verletzung oder einer lebensbedrohlichen Krankheit wie Augenkrebs. Erkrankungen, von denen in Europa etwa eine dreiviertel Million Menschen und weltweit über acht Millionen betroffen sind.

Die Methode, die Augenhöhle individuell zu vermessen und die Prothesen herzustellen, ist seit vielen Jahrzehnten weitgehend unverändert geblieben. Die invasive Abformung kann unangenehm sein und ist bei Kindern eine belastende Erfahrung, die oft eine Vollnarkose erfordert. Der anschließende handwerkliche, zeitaufwändige Herstellungsprozess führt zu einer mehrmonatigen Wartezeit und verschlimmert damit die ohnehin schon belastende Zeit für den Patienten. Das neue Verfahren, bei dem 3D-Drucktechnologien zum Einsatz kommen, beschleunigt die Produktion erheblich und bietet den Patienten eine schnellere, bessere und insgesamt komfortablere Erfahrung.

Der Ersttermin für die 3D-Prothese des Patienten beginnt mit einem 2,4 Sekunden dauernden, nicht invasiven, nicht ionisierenden Scan mit einem speziell modifizierten optischen Kohärenztomographen für die Augen, der von Tomey Japan hergestellt wird. Der medizinische Scanner wird routinemäßig in einer Krankenhausumgebung verwendet. Der resultierende Scan der Augenhöhle und das farbkalibrierte Bild des gesunden Auges werden digital an das Fraunhofer IGD übertragen. Tomey hat die Funktionen des Gerätes so angepasst, dass die Augenhöhle des entfernten Auges präzise vermessen und zusätzlich ein farbkalibriertes Foto des gesunden Auges erstellt wird.

Aus diesen Daten erstellt Cuttlefish:Eye ein 3D-Druckmodell. Angesteuert werden die Drucker über den 3D-Druckertreiber Cuttlefish, der sich durch seine Farbkonsistenz sowie die realistische Darstellung auch transparenter Materialien auszeichnet. Die Technologie des Fraunhofer IGD ist weltweit mit vielen verschiedenen Druckertypen im Einsatz. Gedruckt werden die 3D-Prothesen von der Lupburger Fit AG, die über langjährige Erfahrung in der additiven Fertigung, insbesondere im Bereich der Medizintechnik, verfügt. Nach dem Druck werden die Prothesen von einem Team erfahrener Okularisten geprüft und fertig poliert. Mit einem einzigen 3D-Drucker kann Ocupeye potenziell den jährlichen Bedarf von rund 10.000 Prothesen für den britischen Markt decken.

Weltmarktbedarf von acht Millionen Menschen

Jeder Schritt des neuen Herstellungsverfahrens wurde strengen Qualitätskontrollen unterworfen. So ist die Cuttlefish:Eye-Software als Medizinprodukt der Klasse 1 zertifiziert. Die Materialien für den 3D-Druck wurden umfangreichen und gründlichen Biokompatibilitätstests unterzogen, bevor die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte - MHRA - die Genehmigung für eine klinische Studie erteilte.

Für die klinische Studie werden etwa 40 Patienten rekrutiert, die eine 3D-gedruckte Augenprothese erhalten. Sie werden im Laufe eines Jahres mehrmals von qualifiziertem Klinikpersonal untersucht und berichten über ihre Erfahrungen.

Potenziell könnte mit nur einem Gerät pro Klinik und dem Einsatz einer kleinen Anzahl geografisch verteilter 3D-Drucker der geschätzte Weltmarktbedarf von acht Millionen Menschen - etwa 0,1 Prozent der Weltbevölkerung - gedeckt werden. (me)


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