Exklusiv-Reportage Computertomografie

Neue Augen für die CT-Diagnose

14. Februar 2023, 6:00 Uhr | Ute Häußler
Das Züchten der medizinisch so wertvollen Kristalle braucht einen langen Atem und ist industrielle Wissenschaft und Ingenieurskunst zugleich.
© Adobe Stock

Die Detektoren des ersten quantenzählenden Computertomografen verwandeln Röntgenstrahlen direkt in Bilddaten. Doch die Herstellung der Halbleiterkristalle für das Photon-Counting ist kompliziert. Im fränkischen Forchheim wachsen mit viel Feuer und Handwerk die Augen der neuen CT-Generation.

++ Exklusive Vor-Ort-Reportage - So entsteht eine radiologische Sensation: hochauflösende Spektralbilder bei minimaler Strahlenbelastung. ++

Der modernste Computertomograf der Welt wird graue Augen bekommen. Matt schimmert ein rundlicher Barren in der Hand von Paul Heimann. Der Leiter der Kristallzüchtung bei Siemens Healthineers in Forchheim hat Mühe »sein Baby« zu halten, um die zehn Kilo bringt ein sogenannter Ingot auf die Waage. Aus ihm entstehen die neuen Adleraugen des CT. Der schwere Rohling besteht aus Cadmiumtellurid (CdTe) und ist äußerst empfindlich. »Bereits ein Fingernagel hinterlässt eine Kerbe, der Ingot ist sehr weich und porös«, sagt der Prozessingenieur, den seine Kollegen augenzwinkernd »Chef-Alchimist« nennen. Und tatsächlich verfügt das Halbleitermaterial über nahezu magische Eigenschaften.

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Bild 1. Hochreine Cadmiumtellurid-Kristalle wandeln Röntgenstrahlen direkt in Bilddatendaten um.
© Siemens Healthineers

Seine Kristalle (Bild 1) absorbieren Röntgenstrahlen hervorragend. Über den dabei entstehenden Strom verwandeln sie das Licht ohne Informationsverlust direkt in Bilddaten – sie sehen. »Das Photon-Counting vervielfacht die CT-Auflösung bei nahezu halbierter Strahlendosis«, sagt Heimann stolz. Quantenzählende Detektoren aus CdTe-Wafern liefern in bisher unerreichter Qualität fast rauschfreie Spektralbilder mit hohem Kontrast. Für Ärzte erschaffen sie einen völlig neuen Blick in den Körper, Patienten dürfen auf eine frühere und genauere Diagnose und Heilung hoffen. Das Züchten der medizinisch so wertvollen Kristalle braucht jedoch einen langen Atem und ist industrielle Wissenschaft und Ingenieurskunst zugleich.

Das komplizierte Wundermaterial

Die lichtabsorbierende Wirkung von Cadmiumtellurid wurde in den 1980er-Jahren entdeckt. Die industrielle Nutzung allerdings kam lange nicht in Gang. »Kristallzüchtung dieser Größenordnung ist eine Mammutaufgabe, die Industrialisierung war von vielen Rückschlägen geprägt«, resümiert Paul Heimann. In der heutigen, von Quartalsberichten und Adhoc-Erfolgen getriebenen Zeit, erscheint es fast unmöglich, dass selbst ein Großunternehmen wie Siemens (heute Siemens Healthineers) nahezu 20 Jahre an der quantenzählenden Technologie forschte. 2002 begannen in Forchheim die ersten Untersuchungen, 2007 ging es ins Messlabor und rund zwei Jahre später waren die ersten Wafer-Prototypen für die neue Art von Computertomografie fertig. Doch bevor 2014 die ersten Patienten testweise via Photon-Counting-CT gescannt wurden und Siemens mit dem Bau einer eigenen Fabrik beginnen konnte, musste der Radiologie-Spezialist 2011 zunächst die Firma Acrorad aus der Präfektur Okinawa übernehmen. Die Japaner hatten zu diesem Zeitpunkt die industrielle Kristallzüchtung bereits perfektioniert.

Das Gesicht mit schweren Schweißerbrillen geschützt, bewegen sich zwei Männer bedächtig um eine riesige Ampulle aus Glas. Schritt für Schritt und nahezu synchron lassen sie die züngelnden Flammen der Gasbrenner in ihren Händen über die gläserne Oberfläche gleiten (Bild 2). Im Inneren schimmern Cadmium und Tellur. Fast 20 Minuten dauert die fein choreografierte Prozedur, bis die Wände der Ampulle unter der Hitze weich werden und die darin eingeschlossenen Materialien luftdicht umschließen.

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Bild 2. Im sogenannten Feuertanz werden die gefüllten Ampullen mit einer offenen Flamme bei etwa 3.000° Celsius versiegelt.
© Siemens Healthineers

Der in Japan entwickelte »Feuertanz« ist für die Kristallzüchter Schwerstarbeit. Essenziell sind die Hitze des Gases, der Abstand der Flamme zum Glas und höchste Konzentration für ein gleichmäßiges Arbeiten im Takt mit dem Gegenüber. Es geht darum, während der folgenden Cadmium-Tellurid-Synthese das Glas nicht zu stressen und ein Bersten zu verhindern. Denn die aufwendige Präparation der Ampullen dient ausschließlich der Zuchtvorbereitung. Erst dann schützt der kohlenstoffbeschichtete Quarzbehälter die beiden Ausgangsstoffe vor Sauerstoff und Anhaftung – der Cadmiumtellurid-Ingot kann in reinster Qualität wachsen.


  1. Neue Augen für die CT-Diagnose
  2. Zeit und Hitze für die Kristallzüchtung
  3. Aus der Zucht in die CT-Fertigung
  4. Was bringt Photon-Counting?

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