Mit Protein aus Schweinehaut

Künstliche Hornhaut läßt Blinde sehen

16. August 2022, 11:20 Uhr | Ute Häußler
Das Implantat ähnelt der menschlichen Hornhaut und besteht aus Kollagenprotein aus der Schweinehaut
© Thor Balkhed

Ohne menschliche Spende: Ein künstliche Hornhaut-Implantat aus tierischem Kollagenprotein kann Blinden das Augenlicht zurückgeben.

Forscher der Universität Linköping (LiU) haben in Zusammenarbeit mit dem Biotechnologie-Unternhemen LinkoCare ein Hornhaut-Implantat aus Kollagenprotein aus Schweinehaut entwickelt. In einer Pilotstudie konnten 20 zuvor meist blinden Menschen nach dem Einsatz wieder sehen. Das künstlich hergestellte Implantat soll menschliche Spender-Hornhäute ersetzen und deren Knappheit ausgleichen.

Schätzungsweise 12,7 Millionen Menschen auf der Welt sind blind, weil ihre Hornhaut, beschädigt oder erkrankt ist. Die einzige Heilungschance ist die Transplantation Hornhaut von einem menschlichen Spender. Doch diese sind knapp, nur einer von 70 Patienten erhält eine Hornhauttransplantation. Zudem leben die meisten Menschen, die eine Hornhauttransplantation benötigen, in Ländern in denen der Zugang zu Behandlungen teuer und sehr begrenzt ist.

»Das neue Biomaterial erfüllt alle Kriterien für die Verwendung als menschliches Implantat. Es kann in Massenproduktion hergestellt und bis zu zwei Jahre gelagert werden. Wir wollten zudem sicherzustellen, dass unsere Erfindung weithin verfügbar und erschwinglich ist - so kann die Technologie Sehbehinderten in allen Teilen der Welt helfen,« sagt Professor Neil Lagali vom Biomedizinischen Institut der LiU.

Zwei Jahre haltbar: Implantat aus Schweinehaut

Hornhaut besteht hauptsächlich aus dem Protein Kollagen. Als Alternative zur menschlichen Hornhaut verwendeten die Forscher Kollagenmoleküle aus Schweinehaut, die hoch gereinigt und unter strengen Bedingungen für den menschlichen Gebrauch aufbereitet wurden. Die verwendete Schweinehaut ist ein Nebenprodukt der Lebensmittelindustrie und damit leicht verfügbar und günstig. Bei der Herstellung des Implantats stabilisierten die Forscher die losen Kollagenmoleküle, so dass ein robustes und transparentes Material entstand, das der Handhabung und der Implantation im Auge standhält. Während gespendete menshcliche Hornhäute innerhalb von zwei Wochen verwendet werden müssen, können die biotechnisch hergestellten Hornhäute bis zu zwei Jahre lang gelagert werden, bevor sie zum Einsatz kommen.

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Die Forscher haben eine neue, minimalinvasive Methode entwickelt. Es wird ein kleiner Schnitt gemacht, durch den das Implantat in die bestehende Hornhaut eingesetzt wird. Der Schnitt kann mit einem modernen Laser (wie auf dem Foto), aber auch bei Bedarf von Hand mit einfachen chirurgischen Instrumenten erfolgen.
© Thor Balkhed

Komplikationsfreie Methode mit weniger Medikamenten

Die Forscher haben zum Implanat eine neue, minimalinvasive Methode zur Behandlung der Krankheit Keratokonus entwickelt, bei der die Hornhaut so dünn wird, dass sie zur Erblindung führen kann. Heute wird die Hornhaut eines Keratokonus-Patienten im fortgeschrittenen Stadium chirurgisch entfernt und durch eine gespendete Hornhaut ersetzt, die mit chirurgischen Nähten an Ort und Stelle genäht wird. Diese Art der Operation ist hoch-invasiv und wird nur in größeren Universitätskliniken durchgeführt.

»Eine weniger invasive Methode wie unsere kann in mehr Krankenhäusern mehr Menschen helfen. Der Chirurg muss nicht das eigene Gewebe des Patienten entfernen, stattdessen wird mit einem kleinen Schnitt das Implantat in die vorhandene Hornhaut eingesetzt«, so Neil Lagali. Mit der neuen Operationsmethode sind keine Nähte erforderlich. Der Einschnitt in die Hornhaut kann dank eines fortschrittlichen Lasers mit hoher Präzision, aber auch bei Bedarf von Hand mit einfachen chirurgischen Instrumenten vorgenommen werden. Die Methode wurde zunächst an Schweinen getestet und erwies sich als einfacher und potenziell sicherer als eine herkömmliche Hornhauttransplantation.

In der Pilotstudie mit 20 Patienten verliefen alle Operationen komplikationslos, das Gewebe heilte schnell ab, und eine achtwöchige Behandlung mit immunsuppressiven Augentropfen reichte aus, um eine Abstoßung des Implantats zu verhindern. Bei herkömmlichen Hornhauttransplantationen müssen über mehrere Jahre Medikamente eingenommen werden. Die Patienten wurden zwei Jahre lang beobachtet, und in dieser Zeit traten keine Komplikationen auf.

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Femtosekundenlaser-Schnittstelle zum Schneiden und Umformen der Hornhaut.
© Thor Balkhed

Wieder perfektes Sehen

Der Hauptzweck der klinischen Pilotstudie bestand darin, zu untersuchen, ob das Implantat sicher in der Anwendung ist. Die Forscher waren dazu sehr überrascht, dass sich mit dem Implanatat die Dicke und die Krümmung der Hornhaut wieder normalisierten. Auf Gruppenebene verbesserte sich die Sehkraft der Teilnehmer genauso stark wie nach einer Hornhauttransplantation mit gespendetem Gewebe. Vor der Operation waren 14 der 20 Teilnehmer blind. Nach zwei Jahren war keiner von ihnen mehr blind. Drei der indischen Teilnehmer, die vor der Studie blind waren, hatten nach der Operation eine perfekte Sehkraft (20/20).

Bevor das Implantat flächendeckend eingesetzt werden kann, ist eine größere klinische Studie mit anschließender Marktzulassung erforderlich. Die Forscher wollen dazu untersuchen, ob mit der Technologie zur Behandlung weitere Augenkrankheiten behandelt werden können und ob das Implantat für eine noch größere Wirksamkeit individualisiert werden kann. (uh)


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