Rolling into the Deep

Mikroroboter rollt tief ins Innere des Körpers

29. Mai 2020, 10:00 Uhr | Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme
Im Labor gelang es, den Mikroroller durch ein simuliertes Blutgefäß zu steuern.
© MPI-IS

Wissenschaftler entwickeln Mikroroboter, der in seinen Eigenschaften einem weißen Blutkörperchen gleicht

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI-IS), Stuttgart, haben einen Mikroroboter entwickelt, der einem weißen Blutkörperchen ähnelt, das sich seinen Weg durch den Blutkreislauf bahnt. Der Roboter hat die Form und Größe eines Leukozyten und bewegt sich wie dieser rollend vorwärts. Möglicherweise ist der Mikroroller damit auf dem besten Weg, die minimal-invasive Behandlung von Krankheiten zu revolutionieren. Das Forschungsprojekt wurde im Journal Science Robotics am 20. Mai unter dem Titel »Multifunctional surface microrollers for targeted drug delivery in physiological blood flow« veröffentlicht.

In einem Labor haben die Forscher ein Blutgefäß simuliert. Mithilfe kleiner Magnetspulen ist es ihnen gelungen, einen Mikroroller durch diese dynamische und dichte Umgebung zu steuern. Das kugelförmige Medikamententransportvehikel hielt dem simulierten Blutfluss stand. Das Forschungsgebiet rund um die zielgenaue Medikamentenabgabe bringt das einen wesentlichen Schritt weiter. Es gibt keinen besseren Zugangsweg zu allen Geweben und Organen im Körper als den Blutkreislauf, da er alle Zellen versorgt.

Wächter des Immunsystems

Weiße Blutkörperchen dienten dem Team als Inspiration, da sie die einzigen beweglichen Zellen innerhalb des Blutflusses sind. Auf ihrer Patrouille zu Orten, an denen Krankheitserreger eingedrungen sind, rollen sie an der Blutgefäßinnenwand entlang und dringen aus dieser heraus, wenn sie zum Beispiel an einer Wunde ankommen. Dass sie sich bewegen können, liegt vor allem an der wesentlich geringeren Fließgeschwindigkeit an den Gefäßinnenwänden.

Die Forscher haben sich dieses Phänomen zunutze gemacht. Sie haben einen Mikroroboter entwickelt, den sie dank seiner magnetischen Eigenschaften aktiv vorwärtsbewegen und innerhalb eines künstlichen Blutgefäßes (die Blutflussgeschwindigkeit war identisch, genauso wie die Konsistenz) steuern konnten. 

Jeder Mikroroller hat einen Durchmesser von knapp acht Mikrometern und besteht aus winzigen Glaspartikeln. Eine Seite ist mit einer dünnen Nickel- und Goldschicht bedeckt, an der anderen haften Krebsmedikamente sowie spezielle Moleküle, die Krebszellen aufspüren können. »Mithilfe von Magnetfeldern können unsere Mikroroboter stromaufwärts durch ein simuliertes Blutgefäß navigieren, was aufgrund des starken Blutflusses und der dichten zellulären Umgebung eine Herausforderung darstellt«, erklärt Yunus Alapan, Post-Doc in der Abteilung für Physische Intelligenz und ebenfalls Co-Autor der Publikation. Darüber hinaus könne der Roboter selbstständig für sie interessante Zellen, beispielsweise Krebszellen, erkennen. Das können sie, weil wir sie mit zellspezifischen Antikörpern beschichtet haben.

Chirurg in der Blutbahn

Im Labor erreicht der Mikroroller eine Geschwindigkeit von bis zu 600 Mikrometern pro Sekunde. Das sind rund 76 Körperlängen pro Sekunde, was ihn zum schnellsten magnetischen Mikroroboter dieser Größe macht. Bevor jedoch der Roboter solch eine Bewegung unter realen Bedingungen ausführen kann, müssen mehrere Herausforderungen bewältigt werden.

Tatsächlich sind sie weit davon entfernt, im menschlichen Körper getestet zu werden. Im Labor gelang es den Forschern, die Roboter mit Mikroskopen abzubilden und mit elektromagnetischen Spulen zu steuern. »In Kliniken allerdings ist die Auflösung der derzeitigen Bildgebungsverfahren nicht hoch genug, um einzelne Mikroroboter im menschlichen Körper abbilden zu können«, so Ugur Bozuyuk, Doktorand in derselben Abteilung und Mitverfasser der Studie. Zudem würde die Medikamenten-Fracht, die von einem einzelnen Mikroroboter transportiert werden kann, angesichts des Größenunterschieds zwischen einem Mikroroboter (etwa 10 Mikrometer) und Organgewebe (Tausende von Mikrometern) nicht ausreichen. Man müsste also mehrere Mikroroboter zusammen in einem Schwarm manipulieren können, um eine ausreichende Wirkung zu erzielen. »Aber davon sind wir noch weit entfernt, dies ist erst der Anfang.«

Die Motivation für das Forschungsprojekt geht auf den berühmten Vortrag des Nobelpreisträgers Richard Feynman mit dem Titel »There‘s Plenty of Room at the Bottom« zurück. In seinem 1959 gehaltenen Vortrag stellte sich der Physiker mikroskopische Maschinen vor, die sich durch Blutgefäße bewegen und Operationen im Innern des menschlichen Körpers durchführen können. Er prägte damit den Begriff »Chirurg in der Blutbahn«.

Kontrollierte Navigation durch den Blutkreislauf

In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich das Forschungsgebiet dank bedeutender Fortschritte in Bezug auf Herstellungstechniken, verwendete Materialien, Steuerung und Bildgebung der Mikromaschinen sehr stark weiterentwickelt. Derzeitige Mikroroboter sind jedoch meist auf Gewebe beschränkt wie es beispielsweise in einem Auge vorkommt oder das relativ leicht zugänglich ist (zum Beispiel Magen-Darm-Trakt) sowie auf langsam fließende Umgebungen.

Um jedoch Bereiche tief im Inneren des Körpers zu erreichen, führt womöglich kein Weg vorbei an dem Blutkreislauf – trotz der widrigen Bedingungen. Die Wissenschaftler hoffen, mit ihrer bio-inspirierten Strategie eine neue Plattform für die kontrollierte Navigation von Mikrorobotern durch den Blutkreislauf zu schaffen. Dies könnte den Weg ebnen, damit Mikroroboter eines Tages zielgenau Wirkstoffe an Krankheitsherden abgeben können. (me)


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