Nanotechnik für Digital Health

Das Krankenhaus in einer Nadel

28. Juli 2022, 16:00 Uhr | Ute Häußler
© Nanocan

Das italienische Nanocan-Projekt entwickelte das »Krankenhaus in einer Nadel« zur Krebsbekämpfung. Die Nadel analysiert als Echtzeitlabor Tumormarker und gibt dem Patienten direkt eine gezielte Medikation – ohne die Nachteile einer Chemotherapie.

Nanocan steht für »Nanophotonik zur Krebsbekämpfung« und soll zu einem onkologischen Paradigmenwechsel führen, denn das resultierende Medizingerät kombiniert Diagnose und Therapie miteinander – daher auch die nur auf den ersten Blick ambitioniert klingende Bezeichnung »Krankenhaus in einer Nadel«.

Das Projekt nutzt dazu optische Fasern, einfache Glasfasern mit Abmessungen von einem Zehntelmillimeter, die perfekt mit den in der Medizin verwendeten Nadeln und Kathetern kompatibel sind, in Verbindung mit Nanotechnologie.

Kombination aus Diagnose und Therapie

Mit Blick auf die medizinische Anwendung ist eine Fusion gelungen. Die intelligente Nadel erfüllt in Echtzeit und mit einem minimalinvasiven Ansatz drei grundlegende Funktionen am Patienten: Flüssigbiopsie, Gewebebiopsie und loko-regionale Freisetzung von Medikamenten. In der Praxis analysiert die Kombinadel das Blut und kann bereits im asymptomatischen Stadium erkennen, ob die Signatur eines sich entwickelnden Tumors vorliegt, bzw. das Tumorgewebe charakterisieren und dem Arzt Therapievorschläge unterbreiten. Die Nanocan-Nadel führt also Diagnose und Therapie (Theranostik) in einem Gerät zusammen, mit dem im Körper eines Krebspatienten beispielsweise in vivo bestimmte Tumormarker evaluiert und zeitgleich eine gezielte Medikation durchgeführt werden kann.

Nanophotonik zur Krebsbekämpfung

Dieses Resultat macht Nanocan aus Sicht seiner Entwickler zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Präzisionsmedizin, bei der besagte Verbindung von Diagnostik und Therapie eine wesentliche Rolle spielt. Beatrice Borgia vom beteiligten Engineering-Dienstleister Teoresi sagt: »Mit Nanocan geben wir dem medizinischen Personal ein kombiniertes Diagnose- und Therapie-Tool an die Hand, welches ein präzises, sicheres und intelligentes Verabreichen von Medikamenten ermöglicht, mit dem wesentliche Nachteile aktueller Chemotherapien wegfallen. Alle Prozesse sind dabei individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten, sodass Nanocan einen wichtigen Schritt in Richtung Personalised Medicine darstellt.« Die Verabreichung von Nanopartikeln mit Chemotherapeutika an der Spitze einer optischen Faser hat den großen Vorteil, dass sie in situ durchgeführt werden kann, indem die minimal-wirksame Dosis direkt in den Tumor verabreicht wird, mit weniger Nebenwirkungen für den Patienten und großen Einsparungen an Medikamenten.

Eingesetzt wird die Technologie zunächst im Kampf gegen Brust- und Leberkrebs, doch das soll erst der Anfang sein. Bislang mündete das Nanocan-Projekt in die Entwicklung zweier diagnostischer und einer therapeutischen Plattform; zudem wurden zum Projektende Anfang 2022 zwei Patentanmeldungen eingereicht. Die Basis steht, jetzt soll das ambitionierte Medizingerät weltweit weiterentwickelt werden. Beatrice Borgia ergänzt: »Nanocan steht für die Medizin der Zukunft, bei Teoresi sprechen wir von ›Engineering for human life‹. Wir wollen zeigen, dass es möglich ist, die Lebensqualität von Patienten während des Diagnose- und Therapieprozesses durch den Einsatz von innovativer Technologie zu verbessern.«

Crossover der Technologien und Disziplinen

Ins Leben gerufen wurde Nanocan vom im süditalienischen Benevento angesiedelten Centro Regionale Information Communication Technology (CeRICT). Beteiligt an der Entwicklung war neben mehreren Akteuren aus Wissenschaft und Forschung auch der in Turin ansässige Engineering-Dienstleister Teoresi. Mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung im IT-Umfeld steht die Firma auch international hinter zahlreichen Innovationen an der Schnittstelle Mensch-Maschine.  

Für Nanocan waren bei dem IT-Entwickler während der vierjährigen Projektlaufzeit mehr als dreißig Ingenieure im Einsatz, darunter Software-, Elektronik- und Biomedizin-Experten. Unter anderem kamen dabei optische, elektronische und lasertechnische Ansätze zum Tragen, die beispielsweise bei der Herstellung von Prototypen medizinischer Geräte sowie der Steuerung von Robotern eingesetzt werden.

Das Ergebnis ist ein komplementärer Crossover aus unterschiedlichen Technologien und Disziplinen: Nanocan verbindet für das »Krankenhaus in einer Nadel« die Glasfaser- mit der Nanotechnologie und steht zudem für das zukunftsorientierte Zusammenwirken von Life Science und Informatik. Die Technologie soll zukünftig auch in die Neurowissenschaften exportiert werden, zum Beispiel für das Glioblastom, einen extrem schwer behandelbaren und seltenen Tumor. Das Projektteam beteiligt sich zudem an europäischen Projekten für Massen-Screening-Plattformen gegen Viruserkrankungen. Darüber hinaus soll die Technologie auch für die fortgeschrittene Diagnose von Atemluft und Speichel eingesetzt werden. Die Vision ist ein Minilabor auf der Spitze einer Injektionsnadel. (uh) ■

 

Über Teoresi
Der Engineering-Dienstleister wurde 1987 in Turin gegründet und entwickelt individuelle IT-Lösungen, u. a. mit intelligenter Konnektivität für autonome Objekte und dem Einsatz künstlicher Intelligenz. In Deutschland ist Teoresi mit rund 30 Mitarbeitern an den Standorten München, Stuttgart und Berlin aktiv, weitere Büros gibt es in der Schweiz und den USA. Ein Schwerpunkt im Bereich Gesundheitstechnologien liegt auf KI-Lösungen für diagnostische Anwendungen, Telemedizin und der Unterstützung klinischer Entscheidungen. Der IT-Partner entwickelte bisher u. a. tragbare Geräte für Parkinsonpatienten, In-silico-Modellierungen sowie Augmented-Reality-Anwendungen gegen kognitive Verluste. Seit 2021 ist Teoresi einer von weltweit neun Partnern des Amazon Alexa Consulting & Professional Services Provider (CPS).

 


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