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Das Smartphone wird zum Medizingerät

8. Juli 2021, 7:00 Uhr | Dr. Chris Elliott (LMD)
Erste Geräte mit dem neuen V-Sensor sollen noch in diesem Jahr auf den Markt kommen.
© LMD

V-Sensor bringt Vitalparameter auf das mobile Endgerät des Patienten

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Noch vor ein paar Jahren benötigte man zum Fotografieren, Navigieren und Musikhören teure Einzelgeräte. Heute sind deren Funktionen ins Smartphone integriert und somit kostenlos und jederzeit verfügbar. Als Folge dieser Entwicklung sind neue Massenmärkte für Apps entstanden, die entsprechende Einzel- oder Zusatzgeräte ersetzen. Im nächsten Schritt werden medizinische Geräte mit dem Smartphone gebündelt – keine Spielzeuge für Fitness-Tracking, sondern regulierte Medizinprodukte, die Vitaldaten mit klinischer Genauigkeit messen. Anstatt zu messen, was sich einfach messen lässt, werden sie Daten messen, die für den Menschen von Nutzen sind. Anstatt nach einem medizinischen Nutzen für das zu suchen, was einfach gemessen werden kann, werden sie messen, was Ärzte zur Beurteilung des Gesundheitszustands wissen müssen. Bisher musste man, wenn man sich um seine Gesundheit sorgte, ein entsprechendes Messgerät kaufen. Heute kommt es mit dem Smartphone daher und kostet nichts.

Ein Hauptziel ist die Blutdruckmessung. Leman Micro Devices  (LMD) hat ein Sensorsystem entwickelt, das es ermöglicht, mit einem Smartphone den Blutdruck mit klinischer Genauigkeit zu messen – konform zum ISO-Standard, schnell und effektiv. Eine personalisierte Kalibrierung braucht es nicht mehr. Dadurch ist es möglich, zuhause auf die Schnelle den Blutdruck zu messen. Die nächste wichtigste Messgröße ist die Körpertemperatur. Auch diesen Wert sollte man bei Bedarf jederzeit mit ISO-konformer Genauigkeit messen können. Weitere Größen sind die Pulsfrequenz, die Atemfrequenz und die Blutsauerstoffsättigung. Ebenfalls von hohem medizinischen Wert ist eine EKG-Messung, die schon für sich genommen ein aussagekräftiges Diagnoseverfahren darstellt, darüber hinaus aber auch mit anderen Sensoren kombiniert werden kann, um ein breites Spektrum an kardiovaskulären Daten zu überwachen. Das LMD-System leistet all dies und ist dabei so klein und preisgünstig. Das Bauteil lässt sich mit jedem Smartphone bündeln und erfüllt darüber hinaus die European Medical Devices Regulation (EU-MDR), die Zulassungsbedingungen der amerikanischen (FDA) und der chinesischen (CFDA) Gesundheitsbehörden sowie alle sonstigen regulatorischen Anforderungen.

Blutdruckmessung mit dem Smartphone 

Das System besteht aus drei Teilen: V-Sensor, e-Checkup und dem Support.  Alle drei Bestandteile sind mit allen regulatorischen Anforderungen der CE-, FDA- und CFDA-Standards an medizinische Geräte der Klasse IIA/Klasse II sowie mit den relevanten Datenschutzanforderungen konform.

V-Sensor

Der V-Sensor enthält einen Drucksensor, der in weiches Epoxidharz eingebettet ist, auf das der Benutzer die Zeigefingerkuppe legt. Die LEDs beleuchten die Fingerspitze und bilden zusammen mit einer Photodiode ein herkömmliches Pulsoximeter. Eine Thermosäule misst die Wärmestrahlung zwecks Bestimmung der Körpertemperatur. Ein nach Kundenspezifikationen entwickeltes anwendungsspezifisches IC (ASIC) steuert die LEDs, erfasst und digitalisiert die von der Photodiode, dem Drucksensor und der Thermosäule gemessenen Daten und kommuniziert mit dem Prozessor im Smartphone.  Der Sensor lässt sich leicht auf der Rückseite des Smartphones unterbringen und ist in Form einer Fingerspitze gekrümmt. Das Gehäuse bildet eine der beiden EKG-Elektroden, die zweite Elektrode wird mit einem Finger der anderen Hand berührt. 

e-Checkup

Zur Messung des Blutdrucks legt der Benutzer seine Zeigefingerkuppe auf den V-Sensor und drückt das Smartphone mit dem Zeigefinger und dem Daumen etwa 45 Sekunden lang. Dabei weist die App den Benutzer an, die Druckstärke gezielt zu variieren. Diese Anweisung ist in ein einfaches Spiel verpackt,  das auf dem Smartphone-Display angezeigt wird. Der Benutzer wird aufgefordert, einen fallenden Wasserstrom mit einem Eimer aufzufangen, dessen Position sich je nach Druckstärke ändert. 

Ähnliche interaktive Anweisungen gibt  e-Checkup auch für die übrigen Vitaldatenmessungen.  Die App bildet die Schnittstelle zwischen dem Smartphone-Betriebssystem und dem Sensor. Sie übernimmt die komplette Systemorganisation und liest bei der erstmaligen Verwendung des Sensors dessen Eigenschaften aus der Datenbank ein. Die Berechnung des Blutdrucks aus den Messdaten ist sehr komplex, dauert auch auf einem schnellen Prozessor mehrere Sekunden und liefert für jede Messung eine Genauigkeitsabschätzung. Die Ergebnisse werden auf dem Display angezeigt und zusammen mit den Rohdaten zum Support-Server übertragen.

Support

e-Checkup ist auch ohne Internet-Verbindung zum Support-Server benutzbar, doch eine solche Verbindung bietet dem Benutzer diverse Vorteile. Die Daten werden sicher gespeichert. Der Benutzer kann einen optionalen Service in Anspruch nehmen, der unter anderem Funktionen zur Verfolgung der Messergebnisse sowie zusätzliche Analyse- und Diagnosefunktionen beinhaltet. Software-Updates und neu hinzu gekommene Diagnosefunktionen werden automatisch auf das Smartphone aufgespielt. Kumulierte Daten können – in anonymisierter oder pseudonymisierter Form – mit Zustimmung des Nutzers, dem die Daten gehören, für Forschungszwecke verwendet werden, einschließlich Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die auf große Mengen qualitätsgesicherter Daten angewiesen ist. Künftige Diagnosen und Analysen können auf gespeicherte Daten angewandt werden, deren Ergebnisse dann mit dem Benutzer geteilt werden.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Vitaldaten-Sensoren in Verbindung mit einem Smartphone erreichen auch Menschen, die keine Krankheitssymptome verspüren. Das ist besonders wichtig für die Milliarden Menschen, die Bluthochdruck haben, ohne es zu wissen.  Nicht ohne Grund wird Bluthochdruck als »stiller Killer« bezeichnet. Jährlich sterben fast zehn Millionen Menschen an den Folgen eines zu hohen Blutdrucks.  Die Erkrankung lässt sich aber gut behandeln, sofern sie erkannt wird. Ein Gesundheitsökonom hat auf der Basis empirischer Daten ein Markov-Modell entwickelt und abgeschätzt, wie sich der Kauf eines Smartphones mit Blutdruckmessfunktion auf die Gesundheit auswirkt. Es zeigte sich, dass ein junger Benutzer dadurch im Mittel etwa sechs Monate Lebenszeit hinzugewinnt, ein älterer immerhin noch drei Monate. Wichtig ist natürlich, dass der Blutdrucksensor absolute Messungen durchführt- Wenn der Benutzer den Sensor mithilfe einer Druckmanschette kalibrieren muss, wird der Bluthochdruck bei der Kalibrierung erkannt, und der Sensor bringt in diesem Fall keinen Zusatznutzen.

Blutdruckmessgeräte werden bisher größtenteils von Menschen gekauft, die bereits wissen, dass sie an Bluthochdruck leiden. Der V-Sensor legt ein Blutdruckmessgerät buchstäblich in die Hand von Menschen, die bisher noch nie gemessen und deshalb keine Ahnung von ihrem Blutdruck haben. Das wird eine qualitative Veränderung bei der Prävention und Behandlung von Bluthochdruck mit sich bringen.

Die medizinischen Folgen gehen noch weit über Bluthochdruck-Prävention oder Fiebermessung hinaus. Studien haben gezeigt, dass die Herzfunktionen gemessen werden kann, indem der Sensor gegen die Brust gehalten wird und die Daten des V-Sensors mit denen des Beschleunigungssensors im Smartphone korreliert werden. Auf diese Weise lassen sich unter anderem die linksventrikuläre Auswurfzeit (LVET, Left Ventricular Ejection Time) bestimmen. Die arterielle Gefäßsteifigkeit kann sowohl am Finger als auch gemittelt über den Arm festgestellt werden. Auch Arrhythmien, Astblockaden und andere kardiovaskuläre Eigenschaften können den Daten entnommen werden. Darüber hinaus könnte man die Sensor-Messdaten mit Bildern aus der Smartphone-Kamera kombi-nieren oder Daten von anderen Sensoren oder vom Benutzer eingegebene Daten nutzen.

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