Implantate & Prothesen

Vielkanaliges Cochlea-Implantaten mit Mikro-Leuchtdioden

9. Juli 2020, 8:21 Uhr | Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität
Optisches Cochlea-Implantat in der Hörschnecke einer Wüstenrennmaus
© Prof. Salditt/Uni Göttingen

Forscher kombinieren erstmals die Gentherapie in der Hörschnecke mit optischen Cochlea-Implantaten

Herkömmliche Hörprothesen, sog. Cochlea-Implantate (CI), regen den Hörnerv hochgradig schwerhöriger oder tauber Menschen mittels elektrischen Stroms an. Die Qualität dieses künstlichen Hörens ist jedoch weit entfernt von der Qualität natürlichen Hörens. Dies zeigt sich vor allem an einem schlechten Sprachverständnis in Umgebungen mit Hintergrundgeräuschen. Auch die Musikwahrnehmung ist deutlich eingeschränkt.

Eine grundlegende Verbesserung des Hörens mit einem Cochlea-Implantat könnte in Zukunft erreicht werden, wenn es gelingt, den Hörnerv zielgenau mit Licht zu reizen. Da sich Licht – im Vergleich zu elektrischem Strom – besser räumlich eingrenzen lässt, würde es eine präzisere Anregung des Hörnervs ermöglichen.

Licht statt Strom

Auf dem Weg zur Entwicklung eines optischen Cochlea-Implantats sind jetzt Göttinger Hörforscher um Prof. Dr. Tobias Moser gemeinsam mit einem von Dr. Patrick Ruther geleiteten Team von Ingenieuren des Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg einen großen Schritt vorangekommen. Da der Hörnerv natürlicherweise nicht auf Licht reagiert, muss er durch gentherapeutische Eingriffe zunächst lichtempfindlich gemacht werden.

An einem am Institut für Auditorische Neurowissenschaften sowie am Exzellenzcluster Multiscale Bioimaging von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen (MBExC) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) entwickelten Tiermodell für menschliche Schwerhörigkeit mit gentechnisch verändertem, lichtsensitivem Hörnerv ließ sich nun ein an der Universität Freiburg entwickeltes neuartiges Cochlea-Implantat für das Hören mit Licht erstmals erproben. Die Ergebnisse zeigen: Optische CIs basierend auf Mikro-Leuchtdioden (µLED) regen den gentechnisch veränderten Hörnerv mittels Licht mit großer Präzision an. 

µLED-Cochlea-Implantate 

In vorausgehenden Studien wurden bisher zur optischen Anregung des Hörnervs maximal drei Glasfasern genutzt, um mit deren Hilfe Licht von externen Lasern in die Cochlea zu leiten. In der nun veröffentlichten Studie kamen erstmals optische Cochlea-Implantate mit 16 µLEDs (Mikro-Leuchtdioden) mit einer Kantenlänge von lediglich 0,06 Millimetern zur Anregung des Hörnervs in Wüstenrennmäusen zum Einsatz. Die von einem Ingenieursteam um Dr. Patrick Ruther, Gruppenleiter am Institut für Mikrosystemtechnik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, entwi-ckelten CIs mit speziellen und sehr kleinen Mikro-Leuchtdioden können unabhängig voneinander Licht an verschiedenen Stellen der Hörschnecke generieren.

Die Ergebnisse der Studie belegen: Die Anregung des genetisch veränderten Hör-nervs mittels der eigens dafür entwickelten µLED-Cochlea-Implantate ist möglich. Die Stärke der Nervenzellaktivität variierte mit der verwendeten Lichtintensität und Anzahl der gleichzeitig aktivierten µLEDs. Besonders wichtig war es, eine hohe Präzision bei der Stimulation der Hörbahn nachweisen zu können, denn sie macht eine bessere Tonhöhenunterscheidung möglich. 

Hintergrund: Hören mit Cochlea-Implantat

Weltweit leiden mehr als 460 Millionen Menschen an Hörverlust oder Taubheit. Sie können akustische Signale, wie die menschliche Sprache, sehr schlecht oder nicht wahrnehmen. Ein vermindertes – oder gar nicht vorhandenes – Sprachverständnis führt dazu, dass die betroffenen Patienten nicht mit den Menschen in ihrer Umgebung kommunizieren können. Dies beeinträchtigt die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, den Erfolg im Beruf, den Musikgenuss, sowie die Lebensqualität im Ganzen maßgeblich.

In Fällen, in denen ein vermindertes Hörvermögen oder gar Taubheit auf den Verlust der Hörsinneszellen in der Hörschnecke des Innenohrs – der Cochlea – zurückzuführen ist, können sogenannte Cochlea-Implantate (CIs) Abhilfe schaffen, die in die Hörschnecke eingesetzt werden. Sie regen den Hörnerv, der sonst von den Hörsinneszellen angeregt wird, mittels elektrischem Strom an. Dabei ahmen die Implantate natürliche Anregungsmuster des Hörnervs nach. Auf diese Weise entsteht ein künstlicher Höreindruck, der bei dem Großteil von weltweit mehr als 700.000 implantierten Patietnten sogar das Verstehen von Sprache ermöglicht.

An die Grenzen kommt das Hören mit einem CI allerdings in Umgebungen mit Hintergrundgeräuschen. Auch ein Musikgenuss ist den Betroffenen kaum möglich. Diese Grenzen des Hörens ergeben sich aus der relativ weiten Ausbreitung des elektrischen Anregungsstroms in der Cochlea: Große Abschnitte des Hörnervs werden gleichzeitig aktiviert und dadurch die Tonhöhen-Präzision des künstlichen Hörens begrenzt.(me)


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